Kurz dachte Kosima, der Süssfisch wolle sie davon abhalten, seinen Kumpanen einfach mitzunehmen, obwohl der Albe ihr versichert hatte, dass niemand einem Shezem nachtrauern würde. Offensichtlich hatte er dabei andere Shezem nicht mitgerechnet.
Doch Lahiko stellte sich als das kleinste Problem heraus. Während Shocai halbtot in den Armen von Salim hing, plauderte Lahiko wie ein Wasserfall vor sich hin. Er berichtete von der ungerechten Behandlung, die ihm in der Taverne zuteilwurde, worauf Kosima leichtes Spiel mit ihm hatte.
„Weisst du, meine Schwester kann dir bestimmt eine neue Anstellung anbieten. Sie ist eine der Ältesten unseres Volkes, hat also einen hohen Rang inne. Es ist eine Ehre, von ihr in die Dienste genommen zu werden. Ausserdem ist sie auch heilkundig und wird sich um Shoci kümmern, dann wird er bald genesen.“
Ein berechnendes Funkeln war kurz in ihren Augen zu erkennen, doch schliesslich meinte sie mit einem bewundernden Blick auf Lahiko: „Ausserdem umgibt sich die Älteste Khaoula gerne mit interessanten Bewohnern Asamuras. Und ihr seid mir ein Shezem zu sein, der seinesgleichen sucht.“
Weit schwieriger war es, ihre Schwester von dem Vorhaben zu überzeugen.
„Das ist unehrenhaft, was du da vorschlägst, Kosima. Es enttäuscht mich, dass ausgerechnet du, die doch eine Verfechterin von Segiras Kodex ist, solches vorschlägst!“
Ein ausgedehntes Wortgefecht folgte, das sich nicht jeder mit der Ältesten erlauben durfte. Doch schliesslich hatte die Zwillingsschwester sich ihrer Idee gebeugt. Khaoula vertraute auf Kosimas rationales Denken, denn es hatte schon oftmals zum Ziel geführt, auch wenn der Weg nicht ihrem eigenen Gutdünken entsprach. Doch manchmal galt es, das Wohl des Volkes über die eigenen Prinzipien zu stellen.
„Nun gut, lass mich seine Wunden versorgen und mit ihnen sprechen.“
Khaoulas Heilkunde hätte keineswegs ausgereicht, um Shocais inneren und äusseren Wunden zu heilen, die er davongetragen hatte. Glücklicherweise waren jedoch alle Ältesten darum bemüht, den Auftrag des Grosswesyrs bestmöglich zu unterstützen, weswegen sich Galdryl, ein junger Ältester mit der Begabung zur Naturmagie, darum bemühte, zu Shocais Genesung beizutragen.
„Er wird noch einige Zeit lang etwas belämmert sein von den Heiltrunken, die ihm regelmässig eingeflösst werden müssen. Doch das wird auf der Schifffahrt ja keine Rolle spielen. Der Schlaf wird zur Heilung beitragen. Ausserdem sollen die wunden Stellen mit dieser Salbe eingecremt werden.“
Das Handgelenk von Lahiko wurde ebenfalls untersucht.
„Hier scheint jemand fabelhafte Arbeit geleistet zu haben. Es wird reichen, ebenfalls etwas von der Salbe darauf zu schmieren“, wurde dem Süssfisch die Weisung erteilt.
Und nun war es also beinahe soweit. Morgen sollte das Schiff ablegen, befüllt mit Vorräten für die Reise, aber auch mit Geschenken für den Sultan. Der Grosswesyr hatte einen wesentlichen Teil dazu beigesteuert anhand von Goldmünzen, aber auch mit schönen Stoffen, Schnitzereien und geschmackvollen Ölen. Von der Ältesten Shiba hatten sie zwei Artefakte erhalten und der Lehrmeister hatte Khaoula mit guten Ratschlägen und Verhaltensregeln eingedeckt. Zusätzlich waren einige untote Tierexemplare an Bord, welche ihnen glücklicherweise nicht die Haare vom Kopf fressen würden.
Kosima war stolz darauf, was ihr Volk leisten konnte, indem es zusammenhielt.
Das Schiff und die dazugehörige Mannschaft hatten sie dank Segiras Wohlwollen erhalten, da war sich Kosima sicher.
Es hatte einen Angriff gegeben durch einen der Norkarastämme. Die Nordmenschen hatten jedoch die Kampffertigkeiten der Tamjid unterschätzt, welche seit Kindesbeinen an allesamt in der Kampfkunst ausgebildet wurden, um sich vor den Rakshanern zu schützen. So hatte es die göttliche Fügung gegeben, dass die überlebenden Norkara zu Gefangenen wurden und mit ihrer Hilfe das Schiff über den duhnischen Ozean gefahren werden konnte. Zur Motivation wurde ihnen die Freiheit versprochen, sobald sie das Ziel erreicht hätten. Trotzdem würden sie natürlich unter ständiger Bewachung durch erfahrene Tamjid sein.
Kosima freute sich auf die Reise und fühlte sich geehrt, dass sie ihre Schwester auf dieser wichtigen Mission begleiten durfte.
„Schau nach den Shezem, Schwester. Da du sie angeschleppt hast, wirst du die Verantwortung für die beiden übernehmen. Du wirst ihre Wunden versorgen, die Nahrung für sie zusammenstellen und pass bitte auf, dass sie auch an Bord bleiben… und lass sie bloss nicht austrocknen, wir wollen schliesslich dem Sultan keinen gebratenen Fisch servieren!“
Kosima lächelte Khaoula trotz ihrer strengen Worte liebevoll an: „Ja Schwester, ich werde auf die beiden Fischmenschen Acht geben.“
„Guten Tag Lahiko, bist du bereit für die Reise? Die Älteste lässt sich nach deinem Wohlbefinden erkunden und ob du noch Wünsche für die Schifffahrt hast“, Kosima hatte inzwischen herausgefunden, dass es dem Süssfisch gefiel, umschmeichelt zu werden. Ihr war dies Recht, solange er ihr keine Zickereien machte auf der Reise über den Ozean.
Shocai lag auf der Pritsche und hatte die Augen halb geöffnet. Kosima war das Haifischmaul um einiges sympathischer als der Süssfisch.
„Shoci“, sie konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie Lahikos Kosename für seinen Kameraden verwendete.
„Bald geht’s los auf reisen. Du wirst auf der Liege ins Schiff verfrachtet. In eurer gemeinsamen Kombüse steht bereits eine Wanne bereit, die mit Meerwasser gefüllt werden kann. Lahiko hat ausdrücklich darauf bestanden.“
Sie zog die feuchten Lappen von seinem Oberkörper und betrachtete ihn eingehend. Langsam kehrte die Färbung in den Leib zurück. Zufrieden deckte sie ihn wieder zu und wandte sich dann zum Gehen um.
Den beiden hatte sie erklärt, dass die Reise im Auftrag des Grosswesyrs stattfinden sollte, was ja auch der Wahrheit entsprach. Das genauere Ziel der Reise hatte sie jedoch verschleiert mit der Aussage, dass nur die Älteste selbst über den genaueren Zwecke Bescheid wisse und es strenger Geheimhaltung unterliege.
„Umso grösser ist die Ehre, dass wir daran teilnehmen dürfen!“
Lahikos bescheidene Aufgabe sollte darin bestehen, Khaoula vor Langeweile zu bewahren, auch wenn die Älteste anfangs nur widerwillig zugestimmt hatte.
„Und auch für Shocai wird sich eine passende Berufung in den Diensten der Ältesten finden, sobald er wieder gesund ist.“
Solange er jedoch ans Bett gebunden war, könnte sie Lahiko ungehindert auf dem Schiff herumspazieren lassen, denn nur schon einen Shezem zu besitzen, würde von unschätzbarem Wert sein…