Die Ereignisse spielen zeitlich parallel zu Blutrote See - Kapitel 30 - Zwangskuscheln
Tödliche Taverne
Archibald von Dornburg
Nacht. So schwarz wie einst das Haar, des Mannes der sich hier gerade eingefunden hatte. Erneut hatte die Kälte noch einmal zugeschlagen, die eisigen Finger nach dem Land in dem er lebte ausgestreckt und sie mit einem weißen, klirrenden Hauch überzogen. Auch wenn ihm die Wärme persönlich nichts mehr bedeutete, als Untoter hatte er keine Körpertemperatur. Und je kälter es wurde, je kälter wurde auch er. Damit es sich nicht in nächster Zeit um Grabeskälte handelte, hatte sich Archibald in der Taverne eingefunden. Er hatte sich ein Heißgetränk bestellt, dass er zwischen seinen langen, klauenbewehrten Fingern drehte. Zudem hatte es sich der Vampir vor dem Kamin gemütlich gemacht. Arch beobachtete die Leute, trennte gedanklich Spreu vom Weizen, Jäger von Beute und von Statisten. Er nippte an dem Tee und nahm einen winzigen Schluck. Hier gab es leider nichts zu essen, dafür war es zu spät. Die meisten Kinder schliefen schon fest eingemummelt in ihren Decken und auf etwas anderes hatte er im Moment keinen Appetit. Er gähnte hinter vorgehaltener Hand, um seine Zähne zu verbergen. Sein Blick streifte über die Gäste.
Timothée Mauchelin
An einem der Tische, den Rücken der Wand zugekehrt, doch nicht in einer Ecke verborgen, saß Timothèe. Die 48 Sommer und Winter hatten seiner Erscheinung wenig anhaben können. Sein Antlitz war nahezu faltenfrei, das Haar, wenngleich angegraut, noch voll. Der gut gefütterte Wintermantel, dessen Kragen mit braunem Pelz besetzt war, hing zusammengefaltet über der Stuhllehne, den weichen schwarzen Stoffhut hatte er auf dem Haupte belassen. So saß er da und rauchte eine mit mildem Kraut gestopfte Pfeife, während er scheinbar las und die meisten Blicke ohne innezuhalten über ihn hinwegstreiften. Es gab nichts an ihm, dass eines zweiten Blickes würdig gewesen wäre. So kam er in den Luxus, alles zu sehen, sich nicht verstecken zu müssen und doch selbst kaum wahrgenommen zu werden. Kaum jemand würde sich an den stillen Gast erinnern. Gelegentlich glitzerten seine Augen im Schein des Kamins auf, wenn sein Blick sich hob, um alsdann weiter seiner Lektüre zu folgen. Doch nun hielt er inne. Den Mann im schwarzen Ledermantel, ganz offensichtlich naridischer Herkunft, der sich am Feuer wärmte, kannte Timothèe. Und es erschien ihm als ein Glückstreffer, ihn hier anzutreffen. Er löschte die Pfeife, rollte seine Zeitung ein, erhob sich, nahm seinen Mantel, um ihn alsdann über einen der freien Stühle neben dem Naridier zu hängen, bevor er sich selbst niederließ. »Ist es der Zufall oder dein Wille, dass wir uns heute hier treffen?«, erkundigte er sich in der Landessprache des Naridiers. Es konnte nicht schaden, wenn man sie nicht verstand. Sein Rakshanisch war frei von jedem Fehler und Akzent, als sei er selbst in jenem Land geboren.
Archibald von Dornburg
Archibald schenkte dem Mann ein kaum merkliches Schmunzeln. Er wusste warum der Bursche rakshanisch sprach und obwohl er darum wusste, verfehlte es seine Wirkung nicht. Er fühlte sich etwas heimischer an diesem vom Ältesten verlassenen Ort. Archibald machte eine einladende Handgeste. »Vielleicht ist es der Wille des Ältesten? Ich bin hier eingekehrt um mich zu wärmen. Wie steht es mir Euch? Hier auf der Suche nach etwas Besonderem? Die Zeit ist zuweit vorangeschritten für einen Happen«, erklärte Archibald und schaute Timo unverwandt an.
Timothée Mauchelin
»In dieser Taverne wird zu keiner Tages- oder Nachtzeit das seviert, was unsereins als gute Kost bezeichnen würde. Es lohnt auch nicht, es mit rollendem Taler zu versuchen, das Angebot ist einseitig. Wie lange ist die letzte Mahlzeit her?«, erkundigte Timothèe sich.
Archibald von Dornburg
Archibald nickte zustimmend. »Lange, viel zu lange. Ein Jahr mindestens, wenn ich mich nicht irre. Viel zu tun, keine Zeit ordentlich zu essen und die Gesellschaft war auch nicht die Beste, wo das Essen überhaupt möglich gewesen wäre. Nun ist es möglich, aber keine Gelegenheit vorhanden. Und selbst?«, fragte Arch neugierig.
Timothée Mauchelin
»Zwei Monate«, antwortete Timothèe und schmunzelte kaum merklich. »Aber es ist schwierig geworden, an gute Mahlzeiten zu kommen, meist bleibt es bei Fastenspeise. Der Lieferant in Mancini ist leider nicht mehr im Geschäft. Die große Dame wird bemerkt haben, dass die souvagnischen Delikatessen längst nicht mehr regelmäßig geliefert werden und der Genuss hier vor Ort ist kaum weniger betroffen.«
Archibald von Dornburg
»Hier ist es generell sehr schwer an Nahrung zu kommen, aber unmöglich ist es nicht. Welchem Zirkel gehörst Du an? Die Dame wird sich vermutlich an noch ganz andere Dinge gewöhnen müssen, als an eine Nulldiät. Der Krieg hat viel durcheinander geworfen, aber in Notzeiten lebt unsereins wie die Made im Speck, nur war mir auch dort die Jagd nicht vergönnt. Wie sieht es mit Dir aus? Jagdglück gehabt, als der Krieg vor der Tür tobte? Zwei Monate ist überschaubar, auch wenn ich sonst darüber gelacht hätte. Heute fühle ich mich, als könnte ich mich nicht einmal an den Geschmack erinnern«, sinnierte Archibald.
Timothée Mauchelin
»Das fragst du mich?«, fragte er, nun deutlicher schmunzelnd. »Mein Lieber, ich sitze in der Logistik eures almanischen Hauptlieferanten. Wie groß ist dein Hunger, wie voll dein Geldbeutel? Vielleicht lässt sich etwas arrangieren. Die Preise sind allerdings gestiegen. Die Mauer ist zu, der Krieg beendet, die Hohe Mark unter souvagnischer Schirmherrschaft und der Duca von Ledwick zurückgekehrt. Das ist für uns nicht optimal. Krieg macht es uns einfach, die Kehrseite solch schwerer Zeiten ist jedoch die mangelnde Qualität der Ware. Nicht gewährleistete Hygiene, Krankheiten. Dergleichen schmälert den Genuss. Eine gute Welle gab es zur Zeit, bevor die Südmauer geschlossen wurde. Flüchtlinge aus der Hohen Mark, die an der Grenze abgewiesen wurden, Wirren des Krieges, zerrissene Familien. Tragisch. Doch gut für unser Geschäft. Momentan beziehen wir unsere Ware daher vor allem aus Ehveros.«
Archibald von Dornburg
»Natürlich frage ich Dich, wen sollte ich denn sonst fragen? Bei Wildfängen muss man leider auch immer damit rechnen sich selbst etwas einzufangen, so bedauerlich das klingt. Aber für mich sind diese Gefahren bedeutungslos. Was kostet ein Vierjähriger, gesund, bester Ernährungszustand? Woher er kommt ist mir gleich, Ehveros oder Naridien, ich hatte nicht vor mich mit ihm zu unterhalten«, grinste Archibald sein Gegenüber an, so dass er die Zähne sah. Arch nippte an dem Tee und fand auch der zweite Schluck schmeckte so widerlich wie der erste. Er war gespannt was der alte Lagermeister auf Lager hatte.
Timothée Mauchelin
»Ein vierjähriger Wein? Lass uns ein Stück gehen oder ein Zimmer nehmen, dann sprechen wir geschäftlich.« Er erhob sich und ging zum Tresen, um für Tee und Pfeifenkraut zu bezahlen. Er wartete auf den Mann, der offenbar ein Vampir geworden war, um zu hören, ob er noch ein Zimmer bestellen sollte. Es mutete zwar immer merkwürdig an, sich ein gemeinsames Zimmer zu nehmen, doch in so einem Fall gab es gewichtigere Argumente, die dafür sprachen, als sich um die Blicke der Anwesenden zu scheren.
Archibald von Dornburg
Archibald gesellte sich zu seinem Gastgeber an den Thresen. »Ein Doppelzimmer kommt noch dazu. Es ist zu kalt um draußen in aller Ruhe zu sprechen. Soviel Ruhe wünscht weder Du noch ich«, lächelte Arch liebenswürdig. »Sei vorsichtig, im Wein liegt Wahrheit«, erklärte er mit einem Zwinkern.
Timothée Mauchelin
»Wohl wahr. Ein guter Grund, das rechte Maß zu kennen«, antwortete Timothèe ebenso mit einem Zwinkern und ließ sich den Schlüssel aushändigen. Er kontrollierte noch einmal, ob er nichts im Schankraum hatte liegen lassen, dann führte er Archibald die Treppe hinauf. Nach kurzem Suchen hatte er das Zimmer gefunden. Es war hochwertiger eingerichtet als in den üblichen Spelunken, diese Taverne bediente Gäste mit einem üppigeren Geldbeutel, wohlhabende Freie oder der niedere Adel waren die häufigsten Gäste. Timothèe kontrollierte mit einem routinierten Rundumblick die Positionierung und das Material aller Möbel, sah unter dem Bett und hinter den Vorhängen nach, klopfte die Wände ab, um ihre Dicke und Schalldichte zu ermitteln und schloss dann das Fenster und die Tür ab. Der kleine Kachelofen war beheizt. Neben einem Doppelbett gab es hier einen kleinen runden Tisch mit zwei Korbstühlen, über die ein Fell gehängt war, so dass sie zu gemütlichen Sesseln wurden. In einem davon ließ er sich nun nieder. »Wir können hier offen sprechen. Die Preise in der gewünschten Altersgruppe liegen momentan ab 2300 Taler aufwärts für lebende Ware. Beschreibe mir deinen Geschmack und dann werde ich sehen, was ich für dich tun kann. Wenn du die Ware persönlich auswählen möchtest, kostet sie wegen des Mehraufwandes das Doppelte, ansonsten bringe ich dir etwas, das deinem Geschmack meiner Einschätzung nach am ehesten entspricht. Für dich gibt es also nur noch Flüssignahrung? Archibald von Dornburg, wenn ich mich recht erinnere.«
Archibald von Dornburg
Archibald folgte Timothee in die Stube, zwei Raubtiere die unbekanntes Terrain absicherten. Timo machte es sich in einem der Stühle gemütlich, Archibald wärmte sich kurz am Ofen, ehe er gleichzog und sich ebenfalls in einen der Stühle hinabsinken ließ. »Du erinnerst Dich richtig, wie war Dein Name?«, fragte Archibald. Er wollte wissen wie sein Gegenüber hieß, er wollte allerdings auch sehen, wie dieser auf so eine Frage reagierte. »Nein, ich wünsche die Beute lebend, ich werde ihn erst zum Schluss austrinken. 2300 Taler ist viel, aber zieht man sämtliche Eventualitäten ab, kann man über den Preis nicht meckern. Ich mag es wenn sie leise, still mehr introvertiert sind. Ein Junge bevorzugt, er sollte niedlich aussehen und er sollte kein kleiner Haudegen sein, sondern ehr ängstlich. Die Haarfarbe spielt keine Rolle, seine Hautfarbe schon. Ich bevorzuge weißes Fleisch«, erklärte Arch grinsend.
Timothée Mauchelin
»Als Onkel Timmy bin ich im Zirkel bekannt. Den Namen dürftest du schon gehört haben. Da wir einander aber schon einige Jahre kennen und wir uns nun einmal in meinem Heimatland begegnet sind, darfst du gern erfahren, dass ich mit bürgerlichem Namen Timothèe Mauchelin heiße. Die Naridier haben den Onkel Timmy daraus gemacht und so blieb es dabei. Der Preis bezieht sich auf Ware, die zum endgültigen Verbrauch gedacht ist. Die Mietpreise liegen darunter. Wenn du knapp bei Kasse bist, wäre das sonst auch eine Option. Du benötigst die Ware zeitnah?«
Archibald von Dornburg
Archibald kramte in seinen Gedanken und erinnerte sich dunkel an einen Mann im Zirkel mit diesem Namen. Er war meist unterwegs, verbrachte Tage, Wochen, Monate woanders ohne auch nur einen Fuß in die heiligen Hallen des Zirkels zu setzen. Und wenn er zurück in den Schoss der Menschenfresserbande kehrte, dann nicht mit leeren Händen. Onkel Timmy klang fast niedlich, aber viele Raubtiere bekamen regelrecht possierliche Namen. Seiner war weniger kuschelig, schmeichelte aber seiner wahren Natur. »Mieten?«, lachte Archibald leise. Eine unheimliche, drohende Lache. Aber sie galt nicht dem anderen Beißer, sondern dem Mietobjekt. »Ich kann ihn nicht mieten, da ich ihn nicht zurückgeben kann. Ich werde eine Zeitlang mit ihm spielen und dann werde ich eine Saftparty mit ihm veranstalten. Er darf mir Blut spenden. Von daher kommt mieten leider nicht in Betracht. 2300 Taler könnte ich auftreiben, das Geld ist nicht das Problem Onkel Timmy, das Problem liegt ist ich habe es nicht vor Ort. Es befindet sich in Naridien. Bezahlen werde ich, Du müsstest mir nur etwas Aufschub geben, mehr nicht. Wärst Du damit einverstanden?«, hakte Archibald nach und spürte wie der Hunger, wie die Bestie in ihm erwachte.
Timothée Mauchelin
Timothèe sah den Hunger, der den Vampir sichtlich plagte. »Normalerweise schreiben wir nicht an. Aber ich kenne deinen Hunger. Ich verstehe sehr gut, wie du dich fühlst. Ich mache daher eine Ausnahme für dich. Das bleibt aber unter uns, sonst gibt das Ärger für mich. Unterzeichne mir eine Rechnung und dann arrangiere ich die Übergabe der Ware.« Er holte eine kleine Mappe von der Größe eines Notizbuches hervor, in der vorgefertigte Formulare zu finden waren. Sie trugen die Adresse eines Lebensmittelhändlers. Timothèe trug etwas ein. »Ich übersetze, hier steht der Kauf eines vierjährigen Weins und 15 Kilo exotisches Fleisch, was den hohen Preis rechtfertigen und den Verkaufsinhalt codieren wird. Zeit und Ort wären noch festzulegen. Wie lange bist du in Beaufort?«
Archibald von Dornburg
Archibald faltete seine Finger zusammen und lächelte versonnen. »Das ist großzügig von Dir, ich werde das im Hinterkopf behalten. Bis auf Weiteres, vermutlich noch eine ganze Weile. Von dem exotischen Fleisch kann mein Kleiner dann ebenfalls essen, dass wird interessant«, freute sich Archibald und unterschrieb. »Wohin kann das Fleisch geliefert werden? Überall hin? Ich bevorzuge keine festen Standorte, wo wir dann selbst im Topf landen könnten«, warnte er gut gelaunt, während er sich vorstellte wie er gemeinsam mit Nathan aß. Er trank das Blut, während Nathan lernte vernünftig wie ein Erwachsener zu essen.
Timothée Mauchelin
»Wir liefern von diesem Standort aus nur in Beaufort und Umgebung. Ich könnte auch eine Lieferung nach außerhalb veranlassen, das dauert aber und erzeugt entsprechend des Arbeitsaufwandes auch erhebliche Mehrkosten. Ist aber nicht unmöglich. Wohin wäre es denn recht? Dein Kleiner ist dein Sklave?«, erkundigte Timothèe sich interessiert.
Archibald von Dornburg
»Nein mein Partner und Schüler, er ist unantastbar. Das gleich vorneweg damit es nicht zu unschönen Missverständnissen kommt. Er ist jung aber nicht mehr so jung, was den Körper anbelangt. Allerdings ist er ein Kind geblieben, eine seltene und liebenswerte Mischung. Die Lieferung nach Beaufort ist mir Recht, nur möchte ich nicht dass man uns auflauert. Wir müssen also planen, wo es für uns beide am angenehmsten ist. Hatten die Duponts nicht hier in der Nähe eine schöne verfallene Ruine?«, hakte Arch nach.
Timothée Mauchelin
»Nähe, das kommt darauf an, wie man Nähe definiert.« Timothèe runzelte die Stirn und betrachtete nachdenklich die Unterschrift. Er zögerte lange. »Ich habe ein zu weiches Herz«, sagte er schließlich. »Lieferung in die Ruine der Gewitterfeste, zuzüglich 15% Aufpreis. Aber keinen Taler weniger und keine weiteren Sonderwünsche. Datum und Uhrzeit?«
Archibald von Dornburg
Archibald schmunzelte. »Ich werde Dein weiches Herz stets in guter Erinnerung behalten. Nun wann kannst Du liefern? Dann bin ich da oder besser gesagt, dann sind wir da und empfangen das Festmahl mit freudiger Erwartung. Was kostet bei Euch ein Spezialauftrag in Souvagne, wenn man eine ganz bestimmte Person haben möchte?«, hakte er nach.
Timothée Mauchelin
»Sagen wir in zwei Tagen. Am 2. des zweiten Mondes findet die Hochzeit des Duca di Ledvicco mit einem Prince de Souvagne statt. Auch hier wird gefeiert werden. In der Nacht zum 3. sollten die Büttel daher alle Hände voll mit den Betrunkenen zu tun haben, was uns Ruhe verschafft. Was Spezialaufträge kosten, hängt vom Schwierigkeitsgrad ab, da müsste ich nachfragen, das ist nicht mein Gebiet. Um wen geht es denn?«
Archibald von Dornburg
»Um die Tochter eines Marquis, sie ist ein Baby. Aber noch benötige ich sie nicht, vielleicht später. Was würde mich so ein Auftrag ungefähr kosten?«, fragte Archibald. »Wir werden dort sein, die Hochzeit wird sicher schön. Tja Linhard wird auch anwesend sein, der kleine Hohenfelde. Soviel Hoffnung in den Jungen gesetzt er möge ein Dunwin werden und was wurde aus ihm? Er rennt ständig mit Prince Ciel herum und versucht die Welt zu retten«, erklärte Arch nachdenklich.
Timothée Mauchelin
Timothèe notierte Datum und Ort der Anlieferung auf die Rechnung, ehe er die Tinte vorsichtig trocknete und das Papier wieder in die kleine Mappe legte, um sie in seine Manteltasche gleiten zu lassen. »Die Tochter eines Marquis, das ist natürlich eine große Nummer. Das wird viel Vorbereitungszeit benötigen. Ich bin auch nicht sicher, ob solch ein Auftrag angenommen werden wird. Wenn ja, dann wird der Kostenpunkt mindestens sechsstellig sein. Ob es das wert ist, musst du beurteilen. Mit einem gewöhnlichen Säugling kommst du wesentlich preiswerter. Warum soll es dieses Kind sein?«
Archibald von Dornburg
»Das ist eine private Angelegenheit, der Vater und ich haben einen kleinen Zwist und wenn ich seine Tochter in Händen hätte, wäre er sicher etwas zugänglicher. Aber wenn es nicht möglich ist, werde ich mir eine kleine Überraschung ausdenken müssen. Sechsstellig ist mir zu teuer, aber ich danke für das Angebot. Was kostet ein normaler Säugling? Ich hatte schon lange kein weiches, zartes Fleisch«, grübelte Arch.
Timothée Mauchelin
»Einen genauen Preis kann ich für Auftragsarbeiten nicht nennen, es ist eine Schätzung, aber ich denke, sie stimmt ungefähr. Einen Säugling bekommst du schon für 1200 Taler. Es gibt genügend unerwünschte Schwangerschaften. Und welche davon betroffene Mutter ist nicht froh, das überflüssige Kind schnell und diskret loszuwerden und es dabei noch in guten Händen zu wissen?«
Archibald von Dornburg
Archibald lachte bei dem wundervollen Wortspiel. »Oh meine Hände sind sehr gepflegt, schau sie Dir an. Ich denke eine Frau die ungewollt schwanger wird, hat hier weitaus mehr Probleme als in Naridien. Sie muss die Schwangerschaft verstecken und hoffen dass die Geburt ebenso geheim bleibt. Sonst ist sie nicht mehr zu verheiraten oder? Das heißt entweder Tempel oder Orden. Es sei denn sie bleibt für immer Zuhause bei Vater oder Bruder. Und jene die selbst nichts haben erhoffen sich doch durch eine Heirat an etwas zu kommen, zumindest an ein gutes geregeltes Leben. Und wir helfen dabei«, antwortete Arch freundlich.
Timothée Mauchelin
Timothèes zurückhaltendes Schmunzeln zog sich zu einem Lächeln in die Breite. »Tempel sind ein gutes Stichwort. Besonders, wenn es zum Schutz des werdenden Lebens noch eine Prämie für jene Mütter gibt, die das Angebot zur anonymen Geburt annehmen. Hm, da bekommt man doch gleich Appetit. Ich sollte mir auch mal wieder eine vernünftige Mahlzeit gönnen. Wenn ich den Knaben für dich bestelle, werde ich mir auch eine Lieferung fertig machen lassen.«
Archibald von Dornburg
»Oh und was genau begehrt Dein Herz oder besser gesagt Dein Magen? Worauf hast Du Appetit oder Lust? Lass mich an Deinem Hunger teilhaben. Bei so einer Überlegung ist ein Posten in einem Orden oder Tempel doch gar nicht so schlecht, Bruder Archibald klingt nur etwas gewöhnungsbedürftig«, lachte er gut gelaunt. »Bruder Nathan allerdings ebenso wie Bruder Timo«, gab er zu bedenken. »Als wir mit dem Schiff unterwegs waren, war eine kleine Köstlichkeit auf unserem Begleitschiff. Ich habe ihn zwar selten gesehen, aber er war da. Bleich, blass, rotes Haar und grüne Augen. Dürre aber trotzdem Fleisch auf den Knochen. Ich vermute er hat Sommersprossen. Keine Ahnung wo er abgeblieben ist, vermutlich bei seinem Kapitän. Ich hatte vor ihn zu jagen, aber da war er schon verschwunden, der kleine Happen. Nun ich musste bei meinen Leuten bleiben. Nur sind die nicht bei mir geblieben. Treue ist heute echt selten zu finden, lass Dir das gesagt sein«.
Timothée Mauchelin
»Oh, mein Magen begehrt nichts. Das überlasse ich dem Zirkel. Die Formulierung ist reine Gewohnheitssache. Ich genieße eher jene Freuden, die sich bieten, so lange sie noch leben. Neun bis zehneinhalb Jahre ist ein perfektes Alter. Sie beginnen, sich für erwachsene Themen zu interessieren, sind dabei aber noch absolut kindlich in Körper und Geist. Dennoch ist das Interesse da, auch wenn manch Besserwisser es leugnet, da es nicht in seine engstirnigen Vorstellungen passt. Sie sind in diesem Alter groß genug, als dass man mit ihnen Freude haben kann. Das Geschrei ist ein ernstes Problem bei sehr kleinen Kindern«, gab er zu bedenken. »Manch einen stört es nicht oder entspricht sogar seinen Wünschen. Das ist die Sache eines jeden selbst und darf nicht verurteilt werden. Treue fand ich bislang nur in unseren Kreisen, Archibald. Da wir wissen, was uns allen blüht, wenn einer von uns ergriffen und zum Reden gebracht wird. Das Schicksal der gejagten Jäger schweißt uns zusammen.«
Archibald von Dornburg
»Richtig erzogen wissen sie wann sie zu schweigen haben oder was mit ihnen ansonsten geschieht. Aber dafür muss man sich früh ihrer annehmen und es ist eine permanente Aufgabe der Erziehung oder besser gesagt, des Drills. Denn nichts anderes ist es, als harte Arbeit für harten Spaß. Es sei denn man kauft sich einen abgerichteten Sklaven, aber das hat etwas widernatürliches, er ist nicht auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten. Da liegt auch der Hase im Pfeffer begraben was den Marquis angeht, er selbst gehörte ursprünglich mir und er wird mir wieder gehören. Nicht dass ich an seinem verrotteten Kadaver noch irgendwie ein sexuelles Interesse hätte. Er ist alt, verbraucht, gebrochen, aber er ist es nicht ganz. Er soll mit dem Wissen gehen, dass er immer mein Eigentum war. Und dass gleich wo er ist, wer er ist, was er ist, ich stets Zugriff auf ihn habe. Es gibt nichts und niemanden der ihn beschützen kann was mich angeht, außer mir selbst. Wenn er frei herumläuft, dann weil ich es erlaubte und nicht weil er es sich erkämpfte. Ich war schon bei ihm Zuhause in seinem alten Haus. Ich habe ihnen bewiesen, dass ich hinein und hinausgelange und niemand hat mich daran hindern können. Weder Mann noch Maus und ich möchte dass er das nie vergisst. Das ich sein letzter Gedanke auf dieser Welt bin, das ist wahre Größe und Unsterblichkeit«, säuselte Archi.
Timothée Mauchelin
»Dafür benötigt man viel Zeit, einen geeigneten Ort und Geduld. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Hier inmitten von Beaufort ist es schwer. Es sei denn, man weiß sich anders zu helfen. Ich hatte bis zu seinem bedauerlichen Unfalltod einen Adoptivsohn, den ich an gute Freunde verlieh. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, so heißt es doch. Umgekehrt geht mir nun heute die Tochter eines Freundes manchmal zur Hand.« Er lächelte anzüglich. »Ich wünsche dir, dass du deinen gealterten Sklaven noch einmal zur Räson bringen kannst. Leider wird harte Arbeit oft zu wenig wertgeschätzt.« Er erhob sich und zog seinen Mantel über, nahm seine aufgerollte Zeitung zur Hand und klopfte auf seine Manteltasche mit dem Buch. »Ich muss morgen in aller Frühe wieder raus. Ob wir uns bei der Warenübergabe noch einmal sehen, kann ich dir nicht sagen.« Er reichte Archibald ein Pappkärtchen mit einer Adresse. »Ein Briefkasten ohne dazugehörige Wohnung. Er wird von Dienstburschen gelehrt, die keinen Kontakt zum Ring oder zum Zirkel haben, so dass der Briefverkehr relativ sicher ist, auch wenn man sie abfängt. Sie wissen nichts. Finden wirst du mich bei dieser Adresse also nicht, aber postalisch erreichen. Auch jeden anderen Feinschmecker von Beaufort kannst du über diese Anschrift erreichen, die Verteilung erfolgt zentral.«
Archibald von Dornburg
»Der Zirkel dankt und ich ebenso. Nun ich hatte noch nicht das Bedürfnis Dich zu suchen und sind wir ehrlich, wenn Du lieferst wunderbar. Falls nicht, hatten wir beide ein nettes, aufschlussreiches Gespräch aber keinen Verlust. Du weder ein zartes Steak noch ich Taler. Sollte es zu unserem Deal kommen, haben wir beide etwas davon, von daher... man sieht sich... in alter Frische«, grinste Archibald, so dass man seine Reißzähne sah.
Timothée Mauchelin
Timothèe schmunzelte zurück, hielt Archibald die Tür auf und ließ ihm den Vortritt. »Mich sucht man in der Regel auch nur, wenn man mit mir ins Geschäft kommen möchte. Privat bin ich ein furchtbarer Langweiler.«
Archibald von Dornburg
»Seltsam, genau dass sagt man mir auch nach...«, antwortete Archi und durchschritt die Tür. »Vielen Dank, bis zum zweiten Mond. Ich denke wir sehen uns noch öfter... garantiert«, warf Arch ein. Wieso oder weshalb ließ er offen, aber keine Drohung schwang bei diesem Versprechen mit, es klang fast freundlich. Der Vampir verließ die Taverne, trat hinaus in die eiskalte Nacht und sprintete Richtung Heimat ergo Nathan.
Timothée Mauchelin
»Auf Wiedersehen«, antwortete Timothèe freundlich. Er sah dem Vampir nach und wartete, bis er verschwunden war. Dann erst schlug er eine Richtung ein. Über Umwege schlenderte er nach Hause und unternahm noch einen Spaziergang durch die belebten Straßen, um unter freiem Himmel noch ein wenig nachzudenken. Es gab vieles zu organisieren innerhalb der nächsten zwei Tage, vieles zu ordnen. Vor allem seine Gedanken. Nach anderthalb Stunden verschwand auch Timothèe vom Antlitz der nächtlichen Stadt.