Kapitel 3 - Worte des Meisters

  • Mit einem Bündel trockenen Holzes und Reisig stapfte Kakko über den Strand. Er ging barfuß und mit den Füßen im eiskalten Meer. Die Wellen brachen sich schäumend am Ufersaum und leckten seine Spuren fort. Ihm war nach diesen intensiven Sinnesreizen, nach dem Beißen der Kälte, die ihn an seine verlorene Heimat erinnerte. Nach etwa einer Stunde Fußmarsch erreichte er sein Ziel.


    Der alte Leuchtturm war eine Ruine, die trotz ihres Alters erstaunlich gut erhalten war. Von dem bemalten Putz war nichts mehr übrig, doch das bloßliegende Mauerwerk aus Natursteinen bildete ein festes Ganzes, das nirgends bröckelte. Kakko mochte diesen Ort und er war damit nicht der Einzige. Leere Flaschen und Müll lagen im Sand verstreut, das und die Fußspuren verrieten, dass hier regelmäßig jemand feierte. Kakko schob die aufgebrochene Tür auf und stapfte die Wendeltreppe hinauf. Spinnweben, noch mehr Müll und das Heulen des Windes begleiteten ihn. Er kam an der Wärterstube vorbei, die etwa in der Mitte lag, an einem Materialraum voller Lumpen, in dem offenbar manchmal jemand schlief und gelangte schließlich ganz oben bei der gewaltigen Feuerschale an. die Glasfenster, welche das Feuer vor Wind und Wetter schützten, waren längst zerschlagen. Zerlumpte Decken hingen stattdessen rundherum und verhinderten, dass das Feuer die Schiffe in die Irre leitete, die den neuen großen Leuchtturm ansteuern wollten, denn das würde zur Folge haben, dass die Stadtwache ausrückte und die Feiernden im Gefängnis unterhalb des Kastells landeten.


    Kakko sorgte also dafür, dass es keine größeren Spalten im Lumpenvorhang gab, ehe er das Feuer entfachte. Ein umgedrehter, quaderförmiger Gitterkorb aus geflochtenem Eisen, der hier dauerhaft stationiert war, diente als Grill. Es brauchte seine Zeit, bis ein ordentliches Glutbett entstanden war. Erst jetzt machte es Sinn, das Fleisch auf den Rost zu legen. Als Aisoru eintraf, war er gerade dabei, das Fleisch dafür vorzubereiten.


    "Du kommst genau richtig", grüßte Kakko ihn. "Wie willst du dein Fleisch haben?"

  • "Blutig", antwortete eine tiefe, raue Stimme. Die Stimme von Kakkos Meister.


    Ein schlanker, austrainierter Mann trat lautlos aus den Schatten in den Schein des Feuers. Kakkos Meister stellte sich neben seinen Zögling und starrte in die Flammen. "Das Grauen" wartete einen Augenblick, ehe sich seine blassblauen Augen in die des Arashi bohrten.


    Einen Augenblick war seinem Gesicht nicht zu entnehmen was er dachte, ehe er den Kopf schieflegte und Kakko etwas milder anschaute. Dennoch sah das Grauen bedrohlich aus. Bleich, mit durchdringend stechend-hellen Blick, mit abstehenden wüsten Haaren und einem Gebiss das selbst einen Hai vor Neid erblassen lassen würde. Genau jene Kauleiste offenbarte sich nun wie eine geschlossene Trapperfalle dem Eiskuckuck, als Hector von Dornburg seine blassen Lippen schürzte.


    "Seid wann bist Du unter die Kammerjäger gegangen Kakko-Ohne-Zahn? Der Skolopender ist ein vollwertiges Zirkelmitglied, er ist Jäger, er ist ein Älterer - das heißt er ist ein erfahrener Jäger der Ohne-Zähne wie Dich mitversorgt. Wie konntest Du ihn derart bloßstellen und brüskieren? Ist Dir bewusst, dass Dein Fehlverhalten und das Deines Freundes auf mich zurückfällt?


    Was hast Du Dir dabei gedacht?


    Ich habe Deinen kleinen dürren Arsch vor dem Skolopender gerettet. Ich rate Dir eines mein kleiner Eiskuckuck, treib es nicht zu bunt. Ich werde nicht gerne vor dem gesamten Zirkel bloßgestellt. Verteidige ich Dich nicht, würde das bedeuten, es war Deine Entscheidung. Kurzum Du tanzt mir auf der Nase herum. Verteidige ich Dich, heißt es, ich heiße Deine Flausen gut. Kurzum Du tanzt mir auf der Nase herum. Lasse ich Dir Deine Flausen durchgehen, heißt es ich hätte meinen Zögling nicht unter Kontrolle. Und wieder tanzt Du mir auf der Nase herum.


    Nenne mir einen Grund, warum ich Dich nicht ausweiden und auf den Grill schmeißen sollte Kakko. So würden es andere Meister handhaben für eine derartige Verfehlung. Aber ich bin ja kein Unmensch, ich habe Dich nicht grundlos aufgezogen. Da ich Dich vor dem Skolopender verteidigt habe und somit Dein Späßchen auf meine Kappe nahm, wirst Du im Gegenzug selbstverständlich auch etwas für mich leisten Kuckuck.


    Ich erwarte von Dir dass, was ich von einem anderen Jäger als Wiedergutmachung verlangen würde.

    Der PREIS ist ein PFUND Frischfleisch.


    Woher Kuckuck? Deine Wahl. Schneid es Dir aus den Rippen, reiß Deinem Freund ein Bein aus oder erjage Beute. Du hast zwei Nächte Zeit Deinen Meister wohlwollend zu stimmen. Übrigens ich wiege die Wiedergutmachung genau ab. Ein Gramm zuwenig und schneide das fehlende Stück aus Dir heraus. Ein Gramm zuviel, ist nicht der Rede wert.


    Und jetzt hätte ich gerne eine Antwort auf meine Frage. Was beim Abgrund hat Dich dazu veranlasst den Skopo anzugreifen?", fragte Hector und nahm Kakko das Stück Fleisch aus der Hand. Er schnupperte kurz daran um es danach ins Feuer zu schleudern.


    Das Fleisch zischte wie eine wütende Giftschlange, als es auf dem Rost aufschlug.

    Eine passende Untermalung für Hectors Laune.

  • Kakko fuhr herum, als die Stimme seines Meisters antwortete, wo er die von Aisoru erwartet hatte. Seine ohnehin gerade unvorteilhafte Haltung fiel noch weiter in sich zusammen.


    "Meister", sprach er in einer reflexartigen Verneigung, ehe er auf die Knie sank, um mit ihm zu sprechen. "Der Skolopender war grob zu mir. Er warf mir vor, ich würde ihm sein Fleisch stehlen wollen und bezeichnete mich als Aasfresser, dabei war er es, der zum vereinbarten Treffen zu spät eintraf. Dabei packte er mich grob an, um mich durchzuschütteln. Der Freund, von dem Ihr sprecht, half mir, davonzukommen. Das war nicht das erste Mal, dass der Skolopender mich so undankbar behandelte und grundlos züchtigte und so bin ich mit dem Fleisch, das für ihn bestimmt war, meiner Wege gegangen."

  • Hector grabschte Kakko in den Haarschopf und zerrte ihn zurück auf die Füße.


    "Der Skopolender war grob zu Dir? Oh, das habe ich nicht gewusst. Sollen wir beide zu ihm gehen und ihm sagen, dass er Dich zukünftig mit mehr Zärtlichkeit und Respekt bedenken soll? Respekt Kakko muss man sich verdienen. Du hast Dir noch nicht einmal die Zähne verdient! Er bezeichnete Dich nicht als Aasfresser, Du BIST ein Aasfresser!


    Ich wiederhole mich äußerst ungern, aber Du scheinst mir nicht zuzuhören.

    Du bist ein Zögling, ein Auszubildender. Er ist ein Jäger, ein Meister. Den Meisterbrief trägt er im Maul, so wie ich. Wann er zu spät kommt, ob er zu spät kommt oder ob er Dich sogar versetzt, spielt keine Rolle! Lehrjahre sind keine Herrenjahre Kakko! Du hast pünktlich und zuverlässig zu sein, denn Du bist mein Zögling, mein Junges. Sozusagen ein minderjähriger Beißer, ich stehe für Dich gerade vor dem gesamten Zirkel.


    Dein Freund half Dir? Wo ist denn Dein Freund jetzt? Wo?

    Er half Dir nicht, sondern Dein sogenannter Freund ritt Dich und mich in die Scheiße! Das tat Dein übereifriger Freund, der meinte nach einem Mann treten zu müssen, der ihn spielend binnen Sekunden demontieren konnte. Was den Skopo daran hinderte Kakko war Respekt dem Zirkel, der Baronin und mir gegenüber.


    In jeder Gesellschaft braucht es Regeln, um miteinander leben zu können.

    Selbst ein Wolfrudel hat Regeln, sogar Nacktmulle haben Regeln! Wir sind so etwas wie ein Haischwarm, jeder Einzelne von uns ist hochgradig gefährlich. Ein Streit kann sehr schnell für viele von uns tödlich enden. Wir sind aber nicht nur ein Bund von Gleichgesinnten, wir sind eine Wahlfamilie. Viele von uns werden in den Zirkel hineingeboren und ihre Vorfahren leben dort seit Generationen Kakko. Du versuchst mit Deiner Bockigkeit das Gefüge, dass uns am Leben hält, dass uns Unversehrtheit zusichert zu kippen.


    Möchtest Du wirklich, dass ich Dich verstoße offiziell vor dem Zirkel? Das hätte zur Folge, dass der Skopo Dich bestraft, so wie er es für richtig hält. Und was bitte soll das Geschwafel von undankbar? Du dienst einem Jäger, Du überbringst Fleisch. Soll er dafür vor Dank auf die Knie fallen? Vor Dir? Du hast es doch nicht erjagt und von Deiner Beute geteilt oder?


    Also ich glaube ich muss Deine Weltsicht etwas geraderücken, bevor es der Zirkel macht und Du in der Suppe endest. Siehst Du nicht wer Du bist? Kennst Du nicht Deinen Stand und den des Skopolenders? Du wirst Dich bei ihm in aller Form entschuldigen für Dein pubertäres Verhalten.


    Hast Du kein bisschen über Dein Verhalten nachgedacht? Oder wolltest Du Dich vor Deinem neuen Freund wichtig tun? Ist dem so?", hakte Hector nach.

  • "Ich wollte mein Gesicht wahren", räumte Kakko kleinlaut ein. Die Hand in seinem Schopf verursachte Schmerzen, als sie ihn an seinem Haar emporzerrte. "Skolopender hat mich öffentlich ... gedemütigt. Steht das nicht ausschließlich Euch zu? Ich werde mich bei ihm entschuldigen, in aller Form, Meister. Ich werde das Fleisch organisieren. Aber mit welchem Recht mischt der Skolopender sich in meine Ausbildung ein? Ich nahm an, das Züchtigungsrecht obliegt allein Euch."

  • Hector grinste Kakko von einem Ohr zum anderen an.


    "Netter Versuch Ohne-Zahn, aber Du packst mich nicht an der Ehre. Jeder hat das Recht ein Zögling zu erziehen, er hat nur nicht das Recht ihn zu verletzen oder zu töten. Zudem hat der Skopo Dich doch gar nicht als Meister gezüchtigt, sondern er hat Dich als Älterer zur Mäßigung aufgerufen. Du hattest ihn als eine Respektsperson der Zirkels zu bedienen. Aber Du hast den dicken Max vor einem Älteren Deiner Familie gespielt, für einen Freund den Du nicht mal fünf Minuten kennst.


    Wer ist dieser Freund, dass Du Dich derart vor ihm aufplusterst? Welches Interesse hast Du an ihm? Ein anders geartetes Interesse? Hast Du Dich gefragt, wie sein zartes, butterweich schmelzendes Fett sich an Deinem Gaumen anfühlt, während Du ihn langsam gegrillt verspeist? Oder hast Du Dich gefragt, wie sich sein Prügel in Deinem Mund anfühlt? Was war es Kuckuck? Bist Du auf Freiersfüßen?", grinste Hector noch breiter, wenn das überhaupt möglich war.

  • Kakko blickte von unten hinauf, ehe er den Blick seiner schmale schwarzen Augen niederschlug.


    "Diese Sachen solltet Ihr den Skolopender fragen. Wo liegen seine Grenzen mir gegenüber? Er verlangt viel, dafür, dass ich ihm Fleisch bringen darf. Und was den Fremden anbelangt und meine Motivation ... er ist aus Arashima, Meister", sprach Kakko leise. "Dem Land meiner Eltern. Ich wollte zeigen ... dass ich von Ehre so viel verstehe, wie er. Dass ich kein Naridier bin, sondern ein Arashi, ganz gleich, wo ich aufwuchs. Meine Eltern wandelten über die gleiche Erde wie er, sie atmeten die selbe Luft, sahen die gleichen Berge, spürten den selben Schnee und das Eis, das ich im Namen trage."

  • Hector musterte Kakko schlagartig misstrauisch.


    "Junge hast Du was geraucht oder gesoffen? Was redest Du denn da für ein wirres, unzusammenhängendes Zeug? Ich bin ein Arashi, ich hatte den selben Schnee in der Nase wie diese eierlose Lusche, die niemals das wahre Ausmaß vollkommener Perfektion begreifen wird. Hör auf so eine Sülze von Dir zu geben, zum Kuckuck nochmal.


    Du bist kein Arashi, Du bist kein Naridier, Du bist ein BEISSER!


    Es gibt nur zwei Formen von Lebewesen, unabhängig davon welche Luft sie schnuppern, oder über welchen Erde sie latschen. Die Aufteilung der Welt ist ganz einfach Kakko Korikara - Jäger und Beute.


    Du bist im Nest eines Jägers aufgewachsen, Dein mit spärlichem Verstand bedachter Freund ist als Beute großgeworden. Stolziert in Obenza herum, als wären das hier Sehenswürdigkeiten und jeder könnte eine Reise hierhin buchen. Nun vielleicht ist dem so, eine Reise ohne Wiederkehr.


    Lade den Guten doch zum Essen zu uns ein, damit wäre das Pfund verdient", schmunzelte Hector und kraulte sich das Kinn mit seinen Klauen.

  • "Es war ein Anflug von Sentimentalität. Von Schwäche", gab Kakko widerwillig zu. "Ihr habt mir Gnade gewährt, als ich ein Junges war und müsst sehr enttäuscht von mir sein. Aber bitte beantwortet mir die Frage, welche Rechte der Skolopender mir gegenüber hat? Ich bin kein Sklave, ich bin auch ohne Zähne ein Beißer. Was darf er und was darf er nicht verlangen?"

  • Hector zog das Fleisch vom Grill und ließ es sich schmecken. Er riss einen Teil davon ab und warf es Kakko zu, während er sich auf seine Fersen hockte.


    "Schwäche kannst Du Dir nicht erlauben Kakko, denn wenn man Dich mit Sentimentalität angeln kann, kann man Dir eine Falle stellen. Du hast keine Zugehörigkeit zu den Arashi, Deine einzige Zugehörigkeit, Deine einzige Loyalität gilt mir und dem Zirkel. Zu Deiner Frage Kurzer, der Zirkel ist eine Familie. Die Obermutter ist unsere Baronin. Wir alle unterstehen ihr, wir sind ihre Kinder. Du, genau wie ich, wie jeder Beißer.


    Nach unserer Obermutter folgen die Älteren, jene Beißer die sich nicht nur ihre Zähne, sondern auch ihren Stand verdient haben. Dann folgen die reinen Jäger, dann die Ohne Zähne, gleich welche Aufgabe Ihr gerade übernehmt. Die Älteren so wie der Skopo oder ich führen Ohne Zähne wie Dich.


    Du bist mein Mündel, mein Sohn. Der Skopo ist ein Zirkelbruder, folglich hat er die gleichen Rechte die ein Onkel hätte. Du hast jedem Befehl von mir Folge zu leisten, Du gehörst mir. Ebenso hast Du jedem Befehl der Baronin Folge zu leisten, ich ebenso. Ein Befehl von einem Älteren hast Du ebenso Folge zu leisten, es sei denn Du bist für mich unterwegs. Das heißt, wenn er Dich zurecht weist, hat das nicht den Grund Kakko zu ärgern, sondern es soll den Grund haben den Zirkel vor Schaden zu schützen. Damit Du uns nicht versehentlich in Gefahr bringst.


    Seinen Übermut oder seine Wut, seinen Frust, den kann er zur Genüge an den Sklaven oder dem Lebendfleisch auslassen Kakko. Bezieh nicht immer alles auf Deine Person und sieh nicht alles negativ. Sieh es als Lernprozess, oder meinst Du das Leben als Jäger wäre schmerzfrei oder einfach?


    Jedes Raubtier muss vorsichtiger leben, als jede Beute. Wir müssen auf uns achten, wir können uns keine Verletzung erlauben, denn dann ist die Jagd vorbei. Und wir müssen unser Nest beschützen, den Ort wo wir ruhen, unsere Wunden lecken und unsere Beute bunkern.


    All das kann ein Unwissender Ohne Zahn gefährden. Aus dem Grund wird Dich jeder Ältere zurechtweisen, wenn Du Fehler begehst. Einer davon ist, einen Älteren zu hinterfragen. Was weißt Du Kakko? Das was ich Dir sagte, dass was ich Dir beibrachte und wie ich gerade feststelle, hast Du Dir nicht alles gemerkt. Meinst Du es ist je ein Meister vom Himmel gefallen? Der geborene Beißer? Wo? Selbst die Zähne muss man sich verdienen und glaub mir, jeder einzelne Zahn schmerzt wie der Abgrund. Dafür wird er später genauso Schmerzen verbreiten und Angst, etwas was die Beute kopflos werden lässt.


    Was ist Dein Problem mit dem Skopo?", fragte Hector, während er aß.

  • Kakko fing das Fleisch mit einer Hand. Es war nur ein kleines Stück, damit er es ohne scharf geschliffene Zähne die Kehle herunterbekam. Wenn seine stumpfen Backenzähne es kauten, so würde es eher ein fester Klumpen werden, denn kleiner. So lutschte er es, um es feucht zu machen und den Geschmack auszukosten, bis es fade schmeckte. Dann schluckte er es im Ganzen herunter.


    "Danke für die Erläuterung. Was den Skolopender anbelangt, so tut er mir andauernd weh und sagt, es wäre nur zu meinem Besten. Meist lacht er noch dabei, als wäre das alles nur Spaß, aber das ist es nicht. Er bedroht mich mit Worten und Gesten, er umarmt mich von hinten und brüllt mich an, dass ich mich befreien soll. Wie denn, wenn er mich so packt? Er ist größer und ein Söldner. Mir gefällt die Art nicht, wie er mich dabei fixiert. Dergleichen macht er öfter, er hat mir auch schon in den Schritt gefasst. Er ging mir zwar nicht unter die Kleider, aber er drohte mir, es zu tun.


    Verstehst du meine Zwickmühle? Auf der einen Seite soll ich tun, was er verlangt und mich befreien, auf der anderen Seite wird mir eingepaukt, alles über mich ergehen zu lassen. Sein Verhalten könnte genau so gut eine Prüfung meines Gehorsams sein wie eine Kampfübung. Ich kann nur falsch reagieren! Heute habe ich mich gewehrt ... und es war offenbar nicht richtig."

  • Hector schüttelte langsam den Kopf.


    "Wenn Dein Onkel Dir zwischen die Beine packt und Dich so behandelt, sagst Du es Deinem Vater. Denn Brüder dürfen sich gegenseitig die Fresse polieren", grinste das Grauen.


    "Du musst nicht alles über Dich ergehen lassen, alles hat seine Grenzen. Du bist mein Mündel, nicht das des Skopo. Wenn er Dich zusammenscheißt, weil Du einen Fehler gemacht hast der alle betrifft - akzeptiere es. Quält er Dich zum Spaß, ärgert er Dich, dann nimmst Du das nicht hin, sondern sagst es mir. So handhabt man das in einer Familie.


    Zudem hat er Dich überhaupt nicht zu prüfen, er soll sich um seine Sachen kümmern. Du hast ihm das Fleisch gebracht, Du hast es ihm ordentlich und pünktlich zu liefern. Gleich was Du von einem Älteren zum anderen lieferst, oder besser gesagt unabhängig von Deiner Aufgabe hast Du sie zu meiner Zufriedenheit zu erledigen.


    Piesacken lassen musst Du Dich vom Skopo nicht, es ist ein Unterschied ob Dir jemand etwas beibringen möchte oder ob er Dich bewusst quält. Die Frage ist, tut er das? Oder fast er Dich einfach nur nicht mit Samthandschuhen an? Sicher ist er ein Söldner, möchte er Dir kämpfen beibringen? Möchte er Dir zeigen, wie Du Dich aus einer ausweglosen Situation befreist? Oder will er sich selbst zeigen, wie mächtig und unbezwingbar er gegenüber Dir ist? Das hätte ich ihm auch so sagen können. Ich gehe davon aus er besitzt einen Spiegel und sieht seine Zähne.


    Was genau macht er? Hat er versucht Dich zu besteigen und Dir einen wegzustecken? Oder hat er Dich beim Übungskampf grob angefasst? Was? Wovon sprechen wir hier?", fragte Hector, biss ein weiteres Stück Fleisch ab und warf es Kakko zu.

  • "Er hat das Besteigen angedeutet und mich dabei beschimpft. Ich denke, wenn er es wirklich darauf angelegt hätte, es zu tun, dann hätte ich ihm nichts entgegenzusetzen gehabt, darum weiß ich nicht, wie ernst er das wirklich meinte. Trotzdem ist es unangenehm, wenn er sich so von hinten an einen drückt. Darum fand ich es praktisch, dass heute der Arashi mit seinem Schwert zugegen war, um ihn in seine Schranken zu verweisen."


    Kakko schaute auf das Fleisch, was da noch brutzelte, aber er geduldete sich wie gewohnt.


    "Kannst du ihm nicht ... freundlich sagen, dass er das bitte unterlassen soll?" Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen bei der Vorstellung, dass Hector sich freundlich verhielt. Wenn er das tat, wurde es in der Regel sehr gefährlich. So lange er motzte und einen beschimpfte, war alles in Ordnung.

  • Hector lachte leise und deutete auf das Fleisch.


    "Doch dass kann und werde ich, gleich wenn wir zusammen nach Hause gehen. Wenn er dicke Eier hat, soll er sie nicht Dir in den Schritt pressen. Vielleicht müssen wir auch nachsichtig sein, er ist schon sehr alt. Möglicherweise schafft er es mit seinen alten Knochen nicht mehr bis in den Sklavenkeller. Ich nehme Deine Sorge ernst und werde ihn darauf hinweisen, dass er seinen Prügel und seine Klöten von Dir fernhalten soll. Sicherheitsabstand - eine Schwanzlänge", kicherte Hector und zerkleinerte das Fleisch um mit Kakko zu teilen.


    "An dem Arashi war nichts praktisch, außer sein Schwert, dass hättest Du Dir schnappen sollen. Ein Schwert ist sowas wie ein externer Zahn", erklärte Hector gut gelaunt und tätschelte seine Waffe.

  • Kakko aß auch diese Fetzen, wobei er ausgesprochen glücklich wirkte. Es bestand kein Zweifel daran, dass in ihm das Herz eines Beißers schlummerte, er liebte das Fleisch. Vor Genuss stellte sich bei ihm eine Gänsehaut ein und ein Bedürfnis nach Nähe. Er ließ das letzte Stück zum Lutschen und damit Spielen in seinem Mund. Beim Reden schob er es mit der Zunge hin und her.


    "Ich habe den Skolopender verletzt in den Gassen zurückgelassen. Habt Ihr ihn getroffen oder woher wusstet Ihr, dass er mir das kaputte Knie verdankt? Bei dem Schwert des Arashi musste ich an Euch denken ... es hätte Euch gefallen, nahm ich an."

  • Hector aß den Rest des Fleisches auf und schüttelte den Kopf.


    "Getroffen? Mit einem Stein am Kopf oder wie? Nein ich habe ihn nicht getroffen, sondern ich habe Euch beobachtet. Ihr wart im Dunstkreis des Zirkels und da wird jedes Geplänkel, Scharmützel und auch jeder Kampf genau beobachtet. Dein seltsamer Freund kann wirklich so eine tumbe Nuss sein, oder er ist clever und gibt sich nur so. Wir behalten unser Nest im Auge, ich behalte es im Auge. Sollte sich eine Gefahr zu nah an uns heranwagen, wird sie in den Abgrund gezogen.


    Bei dem Schwert musstest Du an mich denken? Schau an.

    Es hätte mir gefallen, rein um es zu besitzen, nicht um es zu führen Kakko.


    Das was Dein Freund dort in Händen hielt war ein Katana. Ein Katana ist ein Langschwert mit geschwungener Klingenform und einfacher Schneide. Die Klingenform ist einem Säbel ähnlich, jedoch ist das Griffstück nicht gegen die Schneidenseite gebogen wie beim Säbel üblich. Der größte Unterschied besteht in der Handhabung. Ein Katana wird häufig zweihändig geführt, ein Säbel ist eine Einhandwaffe.


    Ich führe ein Jian, dies ist ein gerades, zweischneidiges Schwert. Man führt es einhändig und es ist nicht leicht zu führen. Zudem hat es eine Besonderheit, Fehlschärfe. Das ist der nicht geschliffene Teil der Klinge in der Nähe des Hefts, der zum Parieren benutzt wird. Bei einigen Schwertern ist er nur wenige Zentimeter lang. Bei einem traditionellen Jian macht die Fehlschärfe circa zwei Dritteln der Klingenlänge aus. Der Rest der Klinge hingegen ist so scharf wie möglich geschliffen.

    Das Jian kennt kein Block Klinge auf Klinge Kakko, so ein Block würde die Waffe in einem einzigen Kampf schwer beschädigen. Die Details der Schwertformen machen deutlich, dass die Verletzungsgefahr bei über die ganze Länge der geschliffenen Klinge sehr hoch ist. Die am Gegner wirksamen Teile der Klinge sind im vorderen Stück zu finden.


    Nach Erreichen der Meisterschaft in der Klingenführung benötigt man nicht mehr. Ebenso benötigt man keinen Block. Wer blocken will, sollte sich einen Schild kaufen. Ein Jian pariert, lenkt die gegnerische Waffe ab und sucht sich seinen Weg in den Feind. Es ist nicht dafür geschaffen, Klinge auf Klinge einzudreschen, es ist dazu da um zu töten.


    Das Jian wird vor allem schneidend und stechend eingesetzt. Angriffspunkte sind empfindliche Stellen des Körpers, wie die Sehnen der Handgelenke, der Knie und der Fußgelenke, oder der Hals. Daher spielt bei der Schwerttechnik auch die Geschwindigkeit, Geschicklichkeit und Genauigkeit eine Rolle im Gegensatz zur Körperkraft. Du musst schnell und geschmeidig wie eine Viper sein um es führen zu können.


    Eine meisterliche Anwendung des Jian erfordert jahrelanges Training. Das Jian ist eine Waffe für trainierte Schwertmeister, nicht für Leute die sich mit zwei Händen an ihrem Schwert festklammern und sich breitbeinig hinstellen. Das ist nichts als Schauspiel, Eindruck schinden, Fähigkeiten heucheln die nicht gegeben sind.


    Wer ein Jian führt, ist schnell und beweglich. Hier, schau es an", sagte Hector, zog sein Schwert und reichte es Kakko auf der flachen Hand.


    Jian:

    Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.


    "Nur zu", forderte er ihn freundlich auf.

  • Kakko musste kurz lachen. Da er als Kind sehr oft Probleme mit schwerem Husten gehabt hatte, hatte er sich eine lautlose Lache angewöhnt, um keine Schmerzen zu haben. Das hatte er unbewusst beibehalten und wenn man seine Mimik nicht sah, klang es wie ein Keuchen, doch er hatte seinen Kälteschutz unter das Kinn gezogen, um essen zu können.


    "Dann liegt Skopo immer noch in der Grube. Vielleicht holt ihn Jean oder ein anderer. Danke für den Exkurs bezüglich des Jian. Habt Ihr diese Waffe von Anbeginn an geführt oder seid Ihr von einer leichter zu führenden Waffe auf diese umgestiegen? Und warum fiel Eure Wahl auf diese, wo die Handhabung doch so fehleranfällig ist?"


    Er nahm das Schwert in einer ehrerbietenden Bewegung entgegen, wobei er zeitlgleich das Haupt vor seinem Meister neigte, zum Zeichen, dass er die Ehre zu würdigen wusste, sein Schwert berühren zu dürfen.


    "Und noch eine Frage schwärt in meinem Geist. Warum führt Ihr und Euer Vater Arashi-Klingen?, obgleich Ihr der Nationalität nach Naridier seid? Hängt es mit dem Mündel Eures ehrenwerten Vaters zusammen, mit dem verstorbenen Kazrar?"

  • "Bitte. Ich zitiere - eine Waffe muss mit dem Herzen und Verstand gewählt werden, besteht nur der geringsteZweifel, muss die Waffe verworfen werden. Um Deine Frage zu beantworten, ich habe niemals Interesse daran gehabt, eine leicht zu führende Waffe zu erlernen. Ein wahrer Virtuose weiß um die Arbeit, Mühe und Leistung die ihm seine Wahl aberverlangt und er nimmt sie dankbar an. Ich wählte das Jian und das Jian wählte mich, ebenso wie mein Vater.


    Womit die Wahl des Jians zusammenhängt? Kunst und zwar Schwertkunst, Perfektion. Es ist ein tödlicher Tanz mit dieser Waffe. Sie hat Schwächen, aber weißt Du sie perfekt zu führen, werden daraus die größten Stärken. Ihre Klinge ist weich, biegsam und geschmeidigt. Sie mag Dir auf den ersten Blick kein Schutz sein. Aber der erste Blick trügt. Das Jian beschützt Dich nur, wenn Du Dich nicht hinter ihm versteckst. Es ist keine Rüstung, es ist kein Schild, es ist ein Reißzahn aus feinstem Stahl. Es ist schärfer als jedes Rasiermesser und so durchdringt es die feinsten Ritzen oder auch feindliches Fleisch.


    Unsere Nationalität spielt keine Rolle, ich bin weder Naridier, noch Almane, noch Mensch, ich fühle mich ausschließlich dem Zirkel und den Beißern zugehörig. Ob Du dem Volke nach ein Arashi bist oder ein Ork ist für mich bedeutungslos. Du bist einer von uns. Nur verwechsele meine Loyalität nicht, mit betüddelnder Schwäche als Bruder. Das sollte der Skopo auch nicht.


    Was Deine andere Frage beantwortet Kakko. Ich bin Schwertmeister und kein Sanitäter, heißt falls er nicht aufgestanden ist, wird er dort immer noch liegen. Mein Vater und ich haben nichts als Verachtung übrig für Schwächlinge und Gezähmte", antwortete Hector umgänglich und nahm Kakko das Schwert ab um es wieder in der Scheide zu verstauen.


    "Wie hieß Dein schwertschwingender Freund? So wie er es hielt, dachte ich zuerst er wollte Minigolf spielen. Fehlte nur der Ball", lachte Hector mit kratziger Stimme.

  • "Aisoru ist sein Name", antwortete Kakko. "Aber ich weiß nicht, was dieser Name bedeutet. Von ihm weiß ich wenig mehr als seine Nationalität. Ja, ich weiß, sie sollte bedeutungslos sein. Die Beißer stammen aus aller Herren Länder. Ich werde an mir arbeiten. Es ... war nur ein Gedanke, was Kazrar betraf.


    Ihr wart Euch sofort sicher, was die Wahl Eurer Waffe betraf. Ihr hegtet nie Zweifel, hier Richtig zu sein in Obenza. Gab es überhaupt je etwas, woran Ihr zweifeltet? Mir scheint, Ihr kanntet Euren Weg von Anfang an.


    Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass der Skolopender noch da liegt. Er ist ein Veteran, ihn wird eine zertrümmerte Kniesscheibe nicht aufhalten. Erst recht nicht, seit er ein Ghul ist. Alles, was er zur Genesung brauchte, habe ich hier." Er nickte in Richtung des Grills. "Es war nur eine Hoffnung. Aber er ist im Moment trotz allem verletzt und geschwächt ... würde sein Fleisch zählen? Als Ausgleich für die Schande, die ich Euch brachte?"

  • "Für die Frage hätte mein Vater Dich geschlagen, äußerst brutal sogar als Sklave. Du stellst unnötige Fragen Kakko. Aber ich sehe über Deine sprunghaften Gedanken hinweg. Du hast Dir die Frage selbst beantwortet, in einem Satz erzählst Du mir der Skopo ist ein Ghul. Im nächsten fragst Du mich, ob sein Fleisch zählt. Nein, da er ein Ghul ist. Ich fordere ein Pfund Frischfleisch, kein Gammelfleisch. Ich mag es weder abgehangen, noch mürbe", gab Hector zurück.


    "Zweifel?", fragte er nachdenklich und sinnierte über die Frage nach. Das Grauen schloss für einen Moment die Augen und stützte seinen Kopf auf einer Hand ab. Die Geste war erstaunlich friedfertig.


    "Manchmal plagen nicht Zweifel, ab und an bin ich sogar mal verzweifelt oder hege Selbstzweifel. Ich vermute es geht jedem so, wer sich nicht hinterfragt kann sich nicht verbessern oder an seinen Fehlern wachsen. Ob ich hier richtig bin in Obenza, darüber habe ich ehrlich gesagt noch nie nachgedacht. Meine Geburt entschied darüber, oder besser gesagt mein Vater. Im Gegensatz zu meinen Geschwistern wurde ich im Zirkel geboren und bin dort aufgewachsen. Möglich dass ich woanders besser leben könnte, aber ich kenne nichts anderes und ich möchte auch nichts anderes kennenlernen. Der Zirkel ist meine Familie und das Nest ist mein Zuhause.


    Sicher mag ich nicht jedes Familienmitglied, dazu bin ich wohl meinem Vater zu ähnlich. Und irgendwie sehe ich zuerst bei Personen immer ihre Makel, jene die sie beheben könnten, aber zu fett, faul und feige sind diese zu beheben. Auf der anderen Seite wiederum fühle ich mich nur unter meinesgleichen wohl. Kein Wolf lebt unter Schafen und kein Hai unter Sardinen.


    Welche Art von Zweifel meinst Du? Vermisst Du Arashima als Deine Heimat? Du warst nie dort, Du hast es nie gesehen. Was reißt Dich daran? Deine Wurzeln, zu ergründen woher Du stammst, damit Du weißt wohin Du gehst? Manche versprechen sich von ihren Wurzeln zuviel Kakko. Sie haben auch nicht auf alles eine Antwort. Und wohin Du gehst, dass bestimmst Du allein. Gleich wie hoch das Ziel ist, Du musst nur bereit sein den Preis zu zahlen. Die Währung ist klar - Zeit und Schmerz", antwortete Hector und stand auf.


    "Lass uns nach Hause gehen. Aisoru heißt Frischfleisch", lachte Hector sein kratziges Lachen.