Kapitel 33 - Schwiegervater und Schwiegersohn im Gespräch

  • Tazio saß in seiner ledwicker Tracht ohne Ornat mit Ciel an einem Tisch. Sie hatten privat gesprochen und nicht von Duca zu gefallenem Prince. Beide jungen Männer sahen blass aus und sehr gefasst - ein untrügliches Zeichen, wie es ihnen wirklich erging. Ein Versuch, die aufgewühlten Gemüter unter einer Maske zu verbergen, damit niemand etwas Falsches sagte oder tat. Fehler waren genug gemacht worden. Als nun Maximilien eintrat, verneigte Ciel sich eilig und verschwand, vermutlich, um seine Sachen zu packen, wie er es angekündigt hatte. Zurück blieben Tazio und Maximilien. Niemand war außer ihren beiden Leibdienern sonst noch hier, die beiden Staatsoberhäupter waren allein. Tazio erhob sich und trat seinem Schwiegervater entgegen.


    Sanft fasste er ihn bei den Oberarmen und versuchte, in seinen Augen zu lesen. War es wirklich das, was Maximilien wollte - die Trennung dessen, was sie gerade erst geeint hatten? Eine Entzweihung von Ledvico und Souvagne? All das, aufgrund eines einzigen Fehlers, ganz gleich, an welcher Stelle er lag? War das ihrer aller Wunsch? War es das, wofür sie gekämpft hatten, wofür ihre Soldaten gefallen waren?


    "Lass uns ganz privat sprechen", bat Tazio. "Von Schwiegersohn zu Schwiegervater und von Freund zu Freund." Er legte die Arme um Maximilien. Es war eine zarte Geste, aus der Maximilien sich ohne Kraftaufwand hätte entwinden können. Eine von Tazios Händen ruhte zwischen Maximiliens Schulterblättern, die andere an seinem Hinterkopf, um ihn sanft an sich zu drücken, Herz an Herz. Nein, Tazio mochte nicht daran glauben, dass Maximilien wirklich wollte, dass ihre Wege sich entzweiten.

  • Maximilien warf Ciel einen Blick zu, als dieser schleunigst das Gemach des Duca verließ. Anhand dessen wie Tazio schaute und auch wie er aussah, war klar was er von der Botschaft hielt. Eine Botschaft die man bestenfalls als bittersüß bezeichnen konnte. Sie alle waren aufgewühlt, sie standen an einem Scheideweg der aus allem nichts hatte werden lassen. Auf der anderen Seite war Max froh darum, dass keiner von ihnen eine Maske trug. Er selbst trug auch keine zur Schau.


    Kaum war Ciel fort, trat ihm Tazio entgegen. Was Max erwartet hatte, wusste er selbst nicht so genau, eine Umarmung war es jedenfalls nicht gewesen. Für einen Augenblick ließ er die Umarmung überrumpelt über sich ergehen, ehe er seinen inneren Widerstand aufgab und sie genauso liebevoll erwiderte.


    Tazio bat darum privat zu sprechen, auf familiärer Ebene. Maximilien konnte dem nur zustimmen, es war besser alles in Ruhe einmal durchzusprechen. In solchen Angelegenheiten hatte Taz immer einen kühlen Kopf bewiesen, ebenso wie Fabien.


    "Gerne, reden wir als Familie miteinander. Ciel hat Dir erläutert worum es geht? Sprich was ich entschieden habe, damit wir alle miteinander weiterleben können? Falls er seine Bestrafung und die Deiner Frau erläuterte, sie beruht auf dem Gleichheitsprinzip. Gleiche Verfehlung zieht die gleiche Strafe nach sich. Wobei Fabien mit sagte, dass Ciel keine Strafe verdient hätte. Was sagst Du zu der Sache?", fragte Maximilien.

  • Tazio löste die Umarmung wieder, nachdem Maximilien fertig gesprochen hatte, hielt ihn jedoch noch am Arm fest, um ihn zu einer gemütlicheren Sitzecke zu führen als jener, an der er mit Ciel gesessen hatte. Ein gepolstertes Ecksofa sorgte dafür, dass sie in entspannter Haltung saßen. Wenn der Körper gezwungen war, sich zu entspannen, half es auch, die Seele zu beruhigen. Zudem saß man über Eck in einer weniger offensiven Haltung als wenn man einander frontal anblickte. Tazio ließ sich also schräg gegenüber von Maximilien nieder, nicht sonderlich weit von ihm entfernt, um nicht die Stimme erheben zu müssen, damit der andere ihn verstand. Er wurde nicht gerne lauter als gerade eben nötig.


    "Ich bin nicht sicher, inwieweit überhaupt eine Strafe für irgendjemanden angebracht wäre", sprach Tazio vorsichtig. "Sowohl Ciel als auch Verrill waren zeitweise von Ältesten besessen. Verrill zog aus, um Horatio zu schützen. Ciel zog aus, um ihn mit Dunwolf zu vernichten. Oder lockte Horatio Dunwolf nicht vielmehr in einem sicheren Gefäß hinein nach Souvagne? Was auch immer im Detail geschah - für mich hört sich das Ganze an, wie ein Krieg der Ältesten. Einen Krieg uralter Nekromanten, welche die beiden Sterblichen lediglich als ihre willigen Werkzeuge benutzten. Inwieweit war diese Auseinandersetzung denn die freie Entscheidung von Ciel oder Verrill? Waren die Fehler, die sie begingen, wirklich ihre Fehler - oder waren sie Kalkül dieser alten Macht, die so viel mehr Ehrfahrung hat als diese beiden jungen Menschen?"

  • Tazio hatte weise gewählt, was die Sitzmöglichkeit und den Umgang miteinander anging. Natürlich konnte man so jemanden in eine gewisse Richtung lenken. Dessen war sich Max bewusst, allerdings war er damit mehr als einverstanden in eine friedliche und ruhige Richtung geführt zu werden.


    "Eine gute, weise und berechtigte Frage. Ciel verriet mir folgendes über Horatio. Er fragte wusstest Du, dass er einst ein Hohenfelde war, der sich für das Leben als Teil der Familie seines Mannes entschied? Möglicherweise hatten dort zwei Hohenfelde eine alte Rechnung offen. Zwei extrem alte Hohenfelde, oder der eine wollte den anderen vernichtet sehen. Wobei sicherlich beide nichts dagegen hätten, würde der andere verschwinden. Horatio jagt und vernichtet jene Schatten, die die Seelen Unschuldiger bedrohen. So sagte es mir Leon vor einer sehr langen Zeit, er war mein erster Leibdiener. Möglicherweise wollte Dunwolf dem ein Ende setzen. Und Horatio würde sicher auch gerne Dunwolf ein Ende setzen, dem Herrn der Schatten.


    Wir könnten versuchen Horatio zu rufen, möglicherweise beantwortet er uns diese Fragen. Davon Dunwolf zu rufen, würde ich abraten. Oder könnte Thabit diese Fragen beantworten?", hakte Max nach.

  • "Solange Thabit Souvagne nicht angreift, wird Horatio seinen Besuch akzeptieren. Er ist in solchen Dingen neutral eingestellt. Und Thabit wird hier auftauchen, um etwas aufzuklären. Deshalb solltest Du versuchen ihn zu rufen. Eine Aufklärung was hier wirklich stattgefunden hat, wäre für uns alle wichtig. Falls er widererwartend nichts weiß, ist das für uns dennoch eine Info. Thabit wäre damit außen vor.


    Was ich entschieden habe Tazio, ist nicht dass was ich gerne entschieden habe, sondern etwas das ich entscheiden musste. In der Angelegenheit komme ich mir so vor, als treffe ich ständig Entscheidungen die ich permanent revidieren muss. Ich sollte gar keine Entscheidungen treffen, in der Situation scheint mir. Aber leider kann man nicht jede Entscheidung aufschieben, bis zu dem Tag, wo man sich dafür bereit fühlt.


    Was ich Dir damit sagen möchte ist, dass das nicht gegen Dich persönlich gerichtet ist Tazio. Man könnte sich fragen, wofür wir all die Zeit gemeinsam gekämpft haben. Wofür zogen wir gegen die Farisin und Zwerge in den Kampf? Wir hatten gemeinsame Pläne, können wir diese noch verwirklichen? Können wir noch eine Familie sein Tazio? Ist das möglich?", hakte Max freundlich nach.

  • Tazio griff nach Maximiliens Hand. "Das ist möglich, Max. Wir sind eine Familie. Lass uns gemeinsam nach einer Lösung suchen. Vielleicht finden wir eine, an die wir bislang noch nicht gedacht haben. Mein Vater starb, weil er an ein vereintes Almanien glaubte. Er starb für die Falschen und viel zu jung, doch ich will nicht daran glauben, dass es völlig umsonst war! Wir haben daran angeknüpft, Souvagne hat Ledvico geholfen nach dieser Katastrophe und eine Hochzeit festigte dieses Band. Gemeinsam tilgten wir die Bedrohung der Farisin und übten Rache an den verräterischen Zwergen. Dann holten wir die Toten Heim. Gibt es nicht viel mehr, das uns eint, als das uns trennt? Wenn du einverstanden bist, rufe ich Thabit."

  • "Sobald Du Deinen Sohn in den Armen hältst, wirst Du besser verstehen was ich empfinde. Aber im Moment ist es gut so wie es ist Tazio, damit hast Du Dir etwas sachliche Neutralität bewahrt. Sprich Du siehst die Sache ohne emotionale Bindung. Jedenfalls was Ciel und mich betrifft. Den Part von Verrill kannst Du nicht neutral sehen. Ich spreche Dir keine Gefühle ab, möglicherweise ist die Lösung, dass Du Dich in familiären Dingen besser unter Kontrolle hast.


    Verrat Tazio, ist für mich ein rotes Tuch, ebenso wie für Dich. Du hast Dein Vater durch Verrat verloren und ich ebenso. Genau damit erneut konfrontiert zu werden, kann auch unsereins den Boden unter den Füßen wegziehen. Es ist etwas anderes ob man von einem fremden Feind bedroht wird, oder vom eigenen Fleisch und Blut.


    Zuerst bedrohte mich meine Mutter und dann mein Sohn?

    Ich weiß, dass ich die Situation falsch verstanden habe, aber ich gebe gerade wieder was ich in dem Moment fühlte. Es fühlte sich an, als wäre ich wieder 17 Jahre alt und alle warten auf meine Entscheidung über eine Person, über die ich nicht entscheiden möchte es aber muss. Andernfalls kostet es mich das Leben. An dem Tag, als Ciel mit den Himmelsaugen und den Bluthexern vor unserem Tor stand, war Tekuro für mich mein Leon. Er stand mir bei, er kämpfte für mich ohne jedes geringste Zögern. Fabien sagte mir, dass Ciel genau das Gleiche tat, auf andere Art und weise.


    Ich habe ebenso an ein vereintes Almanien geglaubt, es war genauso mein Wunsch wie Deiner Tazio. Und ja ich denke das uns weitmehr verbindet, als uns trennt. Rufe Thabit herbei", stimmte Max zu.


    Vianello reichte Tazio und Maximilien einen Kaffee, damit sie weiterhin im Gemütlichen verhaftet blieben.

  • "Wirklich neutral bin ich nicht in Familiendingen, Max. Es ist eher so, dass ich alles, was ich fühle, jeden Tag aufs Neue tief am Grunde meines Herzens einschließen muss. Sirios Tod ist gerade einmal ein Jahr her, ich habe meinen Vater sehr geliebt. Würde ich herauslassen, was ich fühle, würde ich den ganzen Tag weinen und Sirio anflehen, von den ewigen Inseln zu mir zurückzukehren. Vielleicht würde ich sogar einen Nekromanten darum bitten, ihn zurückzurufen. Aber wem wäre damit geholfen? Weder meinem Land, noch meiner Familie, noch nicht einmal mir selbst. Wenn ich nun versuche, mir vorzustellen, dass Sirio mich je hätte verraten können ..." Tazio blickte eine Weile ins Nichts. Dann schüttelte er den Kopf. "Das kann ich nicht einmal. Es muss dir wirklich den Boden unter den Füßen weggerissen haben. Aber bist du denn verraten worden? Das gilt es zu überprüfen."


    Er ließ Maximiliens Hand wieder los, legte sie auf sein Herz und konzentrierte sich.


    'Thabit Argentocoxos, ich bitte dich um deinen Rat. Bitte komm zu mir.'

  • "Du verstehst was ich meine Tazio, nein niemandem wäre geholfen. Denn wenn Sirio nicht bleiben dürfte, würdest Du ihn erneut verlieren. Und glaube mir, dass ist ein Gefühl dass Dich innerlich zerreist. So war es, als ich mit Leon sprach, er wurde einst beschworen. Nichts hatte ich mir mehr gewünscht, zeitgleich habe ich die Begegnung gefürchtet und daneben benommen hatte ich mich auch. Es lief also rundum schief.


    Vernünftig betrachtet glaube ich nicht das Ciel mich verraten wollte. Er wollte mich beschützen, aber anstatt mit mir zu reden, wählte er den direkten Weg der Handlung. Hielt er mich für besessen wäre sogar das richtig gewesen.


    Im Namen von Sirio sollten wir versuchen einen Weg zu finden, der uns allen gerecht wird. Und nein ich möchte weder auf Dich noch mein Enkel verzichten", gestand Max Tazio.


    Es dauerte einen Augenblick, dann materialisierte sich Thabit in seiner menschlichen Erscheinung mitten im Gemach.


    "Du benötigst meine Hilfe?", fragte er ruhig und besonnen, während er Tazio und Maximilien beobachtete.