Kapitel 15 - Fragen, Familien und Finanzen

  • Fragen, Familien und Finanzen


    Tief über die Bücher gebeugt saß Halvor von Eibenberg in seinem Arbeitsgemach. Eine vereinzelte Öllampe stand auf dem schweren, massiven Holzschreibtisch und spendete gerade genügend Licht, um die eigene Handschrift noch lesen zu können. Der Erzhexer des Hauses von Eibenberg war in eine kostbare, weinrote Robe gehüllt. Allerdings sah man von dieser kaum etwas, denn er trug einen darüber seinen weichen und außergewöhnlich warmen schwarzen Pelzmantel. Das schwarze Fell des Mantelkragens wirkte wie eine Löwenmähne und hatte von der Wellung her leichte Ähnlichkeit mit dem einst selbst rabenschwarzen Haaren von Halvor. Geschuldet war diese pompöse Aufmachung nicht, dass es dieser Mann nötig gehabt hätte zu protzen. Nein diese Gewandung war Halvors Form von Sparsamkeit.


    Weshalb einen Kamin unnötig befeuern, wenn man einen Pelzmantel besaß? Nutzen und Leistung standen dabei in keinem logischen Verhältnis, jedenfalls nicht für einen Eibenberg. Nun man hätte vielleicht noch die zusätzliche Beleuchtung bei einem wärmenden Kamin aufführen können, aber auch solche Argumente ließ Halvor nicht gelten. Licht brannte dort, wo es benötigt wurde und nicht verschwenderisch in allen Ecken. Brennmaterial war ebenso kostbar wie jeder Essenzhauch und Halvor der Sparsame wie er auch genannt wurde, verschwendete nichts. Nur so ließ sich Reichtum bewahren und vermehren.


    Erneut war ein Sturm aufgezogen, rüttelte an den Fensterläden und verdunkelte den sonst schon grauen und trostlosen Himmel. Halvor fürchtete, wenn der Sturm an Kraft und Geschwindigkeit zunahm, würde er für die Arbeit heute sogar eine zweite Öllampe anzünden müssen. Mit grimmigen Blick schaute er über die Schulter zum Himmel auf, wo sich ein erneutes Unwetter zusammenbraute. Verärgert über den Lichtverlust wandte er sich wieder seiner Arbeit zu und trug in fein säuberlicher Handschrift ihre Einnahmen in das Familienkassenbuch.


    Halvor schrieb als einer der wenigen mit einer Feder aus Metall. Zwar war die Anschaffung teuer gewesen, aber im Gegensatz zu den anderen Federn, die gleichsam importiert werden mussten, nutzte sich diese nicht ab. Hinzu kam, dass man wesentlich weniger Tinte verbrauchte als mit einem Federkiel. Rechnete man das allein auf einige Jahrzehnte hoch, ließ sich so manches Tintenfäßchen sparen.


    Halvors Blick war konzentriert als er alle Eintragungen erledigt hatte und seine Arbeit noch einmal überflog. Löschpapier oder Sand benutzte er nicht. Er ließ das Buch offen liegen, bis die Tinte getrocknet war. Und was gab es Schöneres, als auf derartige Billanzen zu blicken? Halvor lehnte sich entspannt nach getaner Arbeit zurück. Der Himmel hatte sich weiter verfinstert, ein Blitz zerriss die Schwärze des Sturm, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnern.


    Dem Oberhaupt der Familie Eibenberg entlockte das Unwetter keine weitere Gemütregung, passend bevor er eine zweite Öllampe benötigt hätte, war er mit der Arbeit fertig geworden. Die Hände auf dem Bauch verschränkt läutete er nach einem Tee.

  • Dalibor registrierte das Läuten mit einem Lächeln. Er würde seinen Vater nicht bei der Arbeit stören und es war kein Zufall, dass er zur Zeit auftauchte, zu der Halvor üblicherweise eine Teepause einzulegen gedachte. Er trug dem Diener auf, den Tee für zwei Personen vorzubereiten und trat ein.


    "Ich grüße Dich, Vater."


    Hier im privaten Rahmen bedurfte es nicht des Pluralis majestatis. Dalibor wusste, dass es im Arbeitszimmer Halvors noch etwas kälter war als in der übrigen Burg und war in ebenso dichten Pelz gehüllt. Er machte es sich bequem und wartete, bis der Diener für sie den Tee serviert hatte, ehe er sich eine Tasse nahm, einen Schluck trank und seinen Vater prüfend ansah.


    "Sag, Vater, hast du dir schon Gedanken darüber gemacht, wen deine Söhne eines Tages ehelichen sollen?"

  • Halvor begrüßte seinen Sohn mit einem derart neutralen Gesichtsausdruck, dass andere vermutlich schnurrstracks wieder das Arbeitszimmer verlassen hätten. Doch Dalibor wusste es besser. Dieses neutrale Gesicht, war das Lächeln seines Vaters. Keine Grübelfalte zwischen den Augenbrauen, dass hieß Halvor war in guter Stimmung.


    Und dem war auch so, er freute sich seinen Sohn zu sehen, der genauso umsichtig mit ihren Ressourcen umging, wie er selbst. Dieser Blick war eine wohlwollende Zustimmung, eine Anerkennung dessen, dass auch Dal einen Pelz bei Kälte trug, anstatt verschwenderisch nach einem wärmenden Feuer zu verlangen. Wobei kein Eibenberg so einer Verschwendungssucht jemals nachgekommen wäre.


    Halvor tunkte die Teelöffelspitze in das Honiggefäß und rührte ordentlich um, so dass dieses kostbare Gut seine volle Wirkung entfaltete. Marthis sein Jüngster, hatte ihn einst einmal um einen vollen Löffel gebeten. Die Jugend von heute. Selbstredend hatte er seinen Sohn darauf hingewiesen, dass er nur noch nicht ordentlich genug umgerührt hatte. Ein ganzer Löffel Honig reichte für gut und gerne eine Woche an Teepausen. Aber Marthis war damals noch jung und erkannte alsbald seinen Fehler.


    Die Mutter seiner Söhne hatte einst ihren Tee sogar mit Milch getrunken, er hätte das Zeichen rechtzeitig erkennen müssen.


    Aber seine Söhne waren wohlgeraten, alle drei. Die Frage von Dalibor überraschte Halvor, nicht dass man dies seinem Gesicht angesehen hätte. Er nippte in Ruhe an seinem Tee, genoss das Aroma und dachte über die Frage nach.


    "Eine interessante Frage Dalibor. Selbstverständlich habe ich schon über Eure Vermählungen nachgedacht. Allerdings hatte ich noch keine konkreten Pläne, dass heißt mir ist keine Person derart positiv aufgefallen, dass ich mich verpflichtet gesehen hätte Euch anzusprechen. Du wirst diese Frage jedoch nicht grundlos stellen. Worauf möchtest Du hinaus? Hast Du selbst jemanden gefunden, der Deiner würdig ist?", fragte Halvor und trank erneut einen Schluck.

  • Dalibor nickte.


    "Ich denke schon, Vater. Er hat sich mir soeben vorgestellt. Ich habe ihn nie zuvor gesehen und nahm das Anliegen zunächst nicht ernst. Es handelt sich um den ältesten Sohn des Indutiomarus von Hohenfelde, um Arbogast von Hohenfelde. Mein erster Gedanke war, dass er die Hochzeit forciere um den Schutz unseres Hauses zu suchen. Man kennt ja die Art der Erbfolge von Hohenfelde.


    Natürlich hatte ich recht, er ist aus jenem Grund hier. Doch nahm ich mir die Zeit, ihm auf den Zahn zu fühlen. Hohenfelde ist keine schlechte Partie, wenn man die Morbidität außen vor lässt. Arbogast hat einige interessante Fähigkeiten vorzuweisen, unter anderem versteht er sich vortrefflich auf die Schaffung von Phylakterien."


    Bei dieser Erwähnung zuckte eine Braue von Dalibor vielsagend empor.


    "Entgegenkommend ist bei der Überlegung sicher auch der Umstand, dass er symathisch erscheint. Ich habe seinen Geist geprüft mittels einer Blutprobe, seine Absichten sind aufrichtig.


    Die einzige Sache, die mir Sorgen macht, ist genau jene, vor welcher er flieht, denn freilich würde ich nicht zulassen, dass Hohenfelde seine Erbfolgestreitigkeiten in unsere Familie hinaus ausweitet. Bei allem Wohlwollen ist dies ein nicht zu vernachlässigender Faktor, man weiß, wie Hohenfelde im Kriegsfall agiert und Krieg ist teuer."

  • Halvor lehnte sich in seinem Sessel zurück und ließ sich das von Dalibor berichtete durch den Kopf gehen. Die Finger um die Teetasse gelegt, ergriff Halvor erneut das Wort.


    "Keine andere Einstellung habe ich von Dir erwartet Dalibor. Davon ausgehend, dass Du Interesse an dieser Verbindung hast, lass und Kosten und Leistung abwägen. Jener Mann der Dich aufsuchte, um Dein Ehemann werden zu dürfen, stammt aus einem der großen Häuser. Sein Haus hat Vermögen in vielerlei Hinsicht. Dieser Mann wäre zudem ein Gewinn für unsere Familie, allein schon aufgrund seiner Fähigkeiten. Ferner wünscht er in unsere Familie einzuheiraten, die Mitgift seinerseits sollte dementsprechend ausfallen.


    Seine Absichten sind ehrlicher Natur, dass hört sich sehr gut an. Denn in diesem Falle, wird er sein Haus nicht fluchtartig verlassen, sondern seinen Vater um Erlaubnis zu dieser Ehe bitten. Er hat freiwillig und offiziell gehen zu dürfen. Indutiomarus von Hohenfelde mein Sohn, weiß ebenso was ein Krieg ihn uns sein Haus kosten würde. Weshalb sollte dieser Mann alles aufs Spiel setzen? Aus Rachgelüsten, falls sich sein Sohn im widerrechtlicht entzieht? Nungut dass wäre bei einer Person die nicht der Logik von Einsatz und Gewinn folgt, durchaus denkbar.


    Gibt es kein Grund zur Rache, durch eine offizielle Abtretung von Arbogast von Hohenfelde an unser Haus, ist jedes Recht auf Rache verwirkt. Ab dato hat das Haus Hohenfelde kein Anrecht mehr auf diesen Mann, sein Vermögen oder seine Fähigkeiten. All dies gehört dann uns Dalibor.


    Da Du dem Ansinnen von Arbogast gerne entsprechen möchtest, wie ich Deinen Worten entnehme, frage ich Dich ob Du mit seinem Vater über die Hochzeit sprechen möchtest. Möglicherweise ist er allein dazu weit weniger in der Lage als wünschenswert wäre Dalibor. Wie sympatisch ist er Dir? Keine Sorge, solltest Du gemeinsam mit ihm nach Hohenfelde zurückkehren, um alles Geschäftliche zu veranlassen, werde ich seinen Vater vorab kontaktieren.


    Wie ernst ist es Dir?", fragte Halvor rundheraus.

  • "Ich hätte deine kostbare Zeit nicht beansprucht, hätte ich die meine nicht vorher damit verbracht, abzuwägen. So sitze ich hier, weil ich der Ansicht bin, dass diese Verbindung sich lohnen würde.


    Natürlich bin ich auch bereit, mit Indutiomarus persönlich zu sprechen. Arbogast fürchtet seinen Vater. Wenn ich ihn als meinen Mann erwählen würde, so ist selbstverständlich, dass ich auch für ihn einstehe. Offen gestanden bin ich sogar gespannt darauf, der alten Viper gegenüberzutreten, die von ihren eigenen Söhnen gefürchtet wird.


    Aber da du von Sympathie sprachst ... ich bot Arbogast einen Traum nach seinem Wunsch an. Eine Prüfung, freilich. Vielleicht ahnte er es. Doch sein Wunsch erschien mir ehrlich. Er bat darum, davon zu träumen, dass er und ich alte Männer sind, in Freundschaft verheiratet, und er wünschte sich etwas mehr Fleisch auf den Rippen. Dieser Wunsch rührte an mir. Etwas Vergleichbares wünschte bisher niemand!"

  • Halvor hob die Hände als Zeichen, dass er genau wusste, wie sein Sohn dachte und ihn niemals unnötig belästigt hätte. Dalibor war nicht der Mann, der anderen unnötig Zeit stehlen würde, denn Zeit war Geld. Und Geld hielt alles am laufen und leben. Nein Dalibor war durch und durch der Stolz seines Vaters. Sein Sohn war nicht nur sparsam, umsichtig, planvoll, nein er war auch von besonderem Mut gekennzeichnet. Das wusste Halvor zu schätzen. Zudem wählte er stets offene und weise Worte. Sein Verstand war logisch und analytisch. Dalibor fällte keine Entscheidung ohne sie reichlich und nach besten Wissen und Gewissen abgewogen zu haben.


    "Dalibor Du genießt mein volles Vertrauen, ich weiß um Deine Umsicht dem Vermögen und der Familie gegenüber. Beides ist für Dich eines, so wie es das für mich ist. Wir sind aus dem selben Guss mein Sohn. Manchmal ist es jedoch ratsam, eine zweite Meinung einzuholen. Möglich dass Du sie zur Bestärkung Deiner gezogenen Rückschlüsse gerne hören würdest. Ebenso könnte es sein, dass Du eine Dir weitere Sichtweise erhoffst, eine Seite die Dir vielleicht verborgen blieb. Zu beiden sage ich Dir etwas. Deine Wahl ist gut, Deine Überlegung zeugt von Logik, die auf überprüften Fakten beruht. Ein Bund mit diesem Mann ist zu Deinem Vorteil und dem unserer Familie.


    Kurzum er ist ein Gewinn für Dich und uns. Allerdings ist er dies nur in dem Fall, wo er sein Haus verlassen darf. Ohne die Zustimmung seines Vaters kippt die ganze Rechnung ins Bodenlose Dalibor. Auch hier hast Du völlig richtig gelegen. Ein Krieg wäre ein Verlust, den wir uns nicht leisten können und wollen.


    Wie heißt es in den alten Schriften? Versuche nie etwas zu besitzen, dessen Verlust Du Dir nicht leisten kannst.

    Ich gehe stark davon aus, dass damit derartige Geschäftssituationen gemeint sind, die sich binnen eines Augenblicks in das Gegenteil verkehren können und zwar dann, wenn man ein Stück des großen Ganzen außer Acht lässt. Du hast alles im Auge behalten.


    Du hast meine Zustimmung zu dieser Ehe, unter der Voraussetzung dass Indutiomarus von Hohenfelde seinen Sohn freigibt, ziehen lässt und der Ehe zustimmt. Ferner muss die Mitgift entsprechend sein, mit leeren Händen hat auch ein Arbogast von Hohenfelde nicht den Hauch einer Chance auf die Hand von Dir Dalibor. Der Mann muss schon mehr mitbringen als warme Worte und Sympathie", gab Halvor freundlich zurück.


    "Allein schon dafür, dass Du ihn angehört hast, sollte er Dir aus seinem Haus eine Anerkennung mitbringen. Erinnere ihn beizeiten daran, sobald Ihr seinen Vater aufsucht", warf Halvor ein und trank noch einen Schluck Tee. Zwar war der Himmel immer noch grau und schwarz, aber an ihrem Familienhorizont saß er den Glanz unverhofften Geldes aufziehen. Herrlich, ein Morgenrot dass sich durch schwarze Zahlen im Billanzbuch der Eibenbergs niederschlagen würde.