Kapitel 08 - Salz im Gesicht

  • Salz im Gesicht

    "Wir beide haben stets offen miteinander gesprochen, Irving. Das ist nicht selbstverständlich und ich bin froh, dass wir beide das können. Unter all den Menschen habe ich viele zuverlässige Edle, welche die Lehen verwalten und die Schiffe als Capitanos über den Ozean lenken. Hofdamen, die freundlich grüßen, Diener, die mir jeden Wunsch von den Augen ablesen, wie meinen treuen Vianello. Ich habe auch eine Frau, die mich ebenso liebt, wie ich sie, und die mir einen wunderbaren Sohn schenkte. Ich sollte wahrlich ein glücklicher Mann sein, doch über mir schwebt tonnenschwer das Fallbeil der Götter.


    Für all diese Menschen bin ich Tazio, der aus dem Eis wieder auferstand und die Krieger heimführte, der das Land nach dem Almanischen Bruderkrieg wieder aufbaut. Mein Reich ist wie ein murmelnder Bach, dessen Wasserstand sich in der Hitze manchmal zurückzieht, doch er pläschert immerfort und bleibt nie stehen. Das Leben in Ledwick geht weiter, auch nach den Wirren des Almanischen Bruderkrieges.


    Doch unter all diesen Menschen habe ich nur einen, der nichts anderes ist als mein Freund. Der an mich keine Erwartungen stellt, bei dem ich nur Tazio sein kann, als wäre ich nie dazu bestimmt gewesen, diese schwarze Korallenkrone zu tragen."


    Tazios Worte klangen bitter. Er saugte an seiner blutigen Unterlippe, während er an die Decke blickte. Er und Irving lagen auf großen Kissen in dem blauen Raum, in dem sowohl der Boden als auch die Wände durchgängig mit Matratzen gepolstert waren. Tazio hatte einen weiteren göttlichen Zustand hinter sich gebracht, doch wusste nichts mehr davon, was die Unsterblichen ihm mitgeteilt hatten. Wie immer hatte Irving die Prophezeiung für ihn schriftlich festgehalten, doch Tazio schämte sich nur noch dafür, was er brabbelte, wenn er die Kontrolle über seinen Verstand verlor. Die Zeilen ergaben für ihn selten Sinn und die Priester hatten stets lange damit zu tun, den wirren Worten eine bombastische Bedeutung zu entlocken. Ihm tat jeder Muskel und jedes Gelenk weh, da er sich wie ein Bogen nach hinten gekrümmt hatte. Wie ein C hatte er dagelegen, das Gesicht verzerrt. Die Anfälle kamen häufiger in letzter Zeit.


    Irving reichte ihm einen warmen Tee mit Honig, den Tazio gierig austrank, dann stellte er das Glas wieder auf dem Tablett ab, das neben ihnen auf dem Boden stand. "Was genau liegt dir auf dem Herzen?", erkundigte Irving sich. "Sprich, wenn du reden möchtest. Momentan kreist du wie ein Sandjäger um den Fisch. Ich höre dir zu."


    Tazio schüttelte traurig den Kopf, ohne damit Nein zu sagen. Es war eine Geste der Resignation. "Es ist kein angenehmes Thema. Ich ärgere mich über Linhard, der mich öffentlich demütigte, nachdem ich ihm die Hand reichte. Als hätte ich es in meinem Alter nicht schwer genug, mir Autorität zu verschaffen. Die Menschen haben meinen Vater trotz seiner zahllosen Fehler geliebt. Nun, da er nicht mehr ist, verehren sie ihn als den Stern des Südens, der den Schiffen den Weg über die See weist. Wir haben zu ihm aufgeblickt und tun es auch noch immer, sehen des Nachts hinauf zum Firmament, wo er gütig auf uns herab scheint. Ich hoffe, der große Feldherr hat endlich Frieden gefunden.


    Wer aber bin ich? Kaum mehr als ein Knabe mit einem blassen Gesicht, der einen zu schweren Mantel trägt und eine Krone, die kaum auf sein Haupt passt. Ich weiß, wie sie über mich reden und dass dieser Staat nur funktioniert dank einiger Getreuen, die meinem Vater zuliebe dafür Sorge tragen, dass man mir Gehör schenkt. Wie sicher wäre ich ohne Ambrigio di Caldera? Ohne Mauro di Georgo? Die Admiräle kochen ihr eigenes Süppchen und offen gestanden bin ich froh darüber, wie selbstständig sie ihrer Arbeit nachkommen, aber habe ich sie unter Kontrolle? Sie sind doppelt so alt wie ich und wenn sie mit mir sprechen, dann höflich, aber ich spüre, dass sie mich nicht als obersten Befehlshaber des Heeres wahrnehmen. Um das zu erkennen, brauchst du nur einen Blick nach Ehveros werfen, wo die Oltremarini sich austoben."


    "Und dann kommt obendrein auch noch Linhard von Hohenfelde und verhöhnt dich vor den Augen der Öffentlichkeit."


    "Ja!" Tazios Gesicht war bleich vor Zorn, auch wenn er seine Stimme nicht erhob. Er war niemand, der schrie. "Ich habe ihn in meiner Ehe geduldet aus Rücksicht auf Verrill. Er spuckte mir ins Gesicht und verstieß offen gegen das Gesetz, nahm sich eine Frau als Hure nach der anderen. Er gefährdete die Gesundheit meiner Familie und besudelte ihr Ansehen, von dem Ansehen der geschändeten Familien ganz zu schweigen. All das waren ehrbare Leute gewesen, bis Linhard kam.


    Als ich ihn zur Rechenschaft zog und ihm die Hand reichte, log er mir ins Gesicht, spielte Reue vor. Er reiste zurück nach Souvagne und fuhr dort mit seinen Umtrieben fort, gründete eine Familie neben der meinen, ohne auch nur Rücksprache zu halten. Wie sehr kann man einen Duca noch verhöhnen?


    Ich weiß nicht, was ich mit ihm tun soll, Irving. Ich weiß nicht, was ich überhaupt noch tun soll. Ich dachte, er und ich könnten Freunde sein. Aber scheinbar habe ich alles falsch gemacht. Jeder kleine fremdländische Adlige lacht über mich. Sie amüsieren sich, warten darauf, wann ich das nächste mal versage. Delfio wird diesen Thron niemals bekommen, sie werden vorher putschen und ihn und seine Mutter ersäufen. Ich bin zu jung für dieses Amt."


    Ein kurzer Krampf durchlief Tazio, doch er durchlitt keinen neuen Anfall. Wortlos zog Irving ihn in seine Arme und hielt ihn. Trost gab es nicht und er schwieg.

  • Nach einer Stunde regte Tazio sich wieder. Er war eingeschlafen, wie es oft geschah, nachdem eine Vision ihn heimgesucht hatte. Irving und er erhoben sich zeitgleich. Tazio ließ sich in das abgelegte Ornat helfen. Die langsame Gangart verhinderte ein Straucheln, der weiße Fellmantel gab Volumen, obwohl der junge Duca mager geworden war. Die Maske verbarg die aufgebissene Lippe und die Bleiche seines Gesichts. Im Ornat wirkte er größer, aufrechter und stärker.


    In langsamen Schritten kehrte er zurück zu seinen Gemächern. Irving begleitete ihn und half ihm in der Garderobe aus dem Ornat. Anschließend schickte Tazio ihn damit durch einen geheimen Seitengang fort, um das Ornat sicher zu verwahren. Die einzelnen Elemente waren heilige Reliquien, vom Mantel aus weißem Seelöwenfell über die elfenbeingleiche Maske aus Walbein bis hin zur Krone aus der seltenen schwarzen Koralle von den Riffbänken der Feuerinseln. Und wie es ihnen gebührte, wurden sie in einem speziellen Altarschrank verwahrt und die Reinigung würde nicht nur weltlich, sondern auch spirituell erfolgen. Hier kam Irving ins Spiel, dessen Aufgabe dies war. Jedes Mal, wenn Tazio das Ornat anlegte, nahm er auch Irvings Segen an und den der Ruspanti, die ihm zurzeit folgten und deren sakrale Arbeit er anleitete.


    Obgleich Tazio nun schlafen sollte, konnte er es nicht, da weder Vianello noch Verrill zugegen waren. So ließ er sich in der mit einem dickem runden Teppich gepolsteren Sitzecke nieder, in der sie Kaffee zu trinken pflegten. Der Stil war südländisch gehalten mit einem flachen kreisförmigen Mosaiktisch und runden, recht festen Sitzkissen. Ein Baldachin, der in den Farben des Ozeans schimmerte, schirmte die Sitzgruppe vom Rest des Raumes ab und schuf Behaglichkeit. Man saß hier eng, weich und behütet. Hier saß Tazio ausschließlich mit seiner Familie. Offizielle Gäste wurden im großen oder kleinen Malachitsaal empfangen.


    Er klingelte nach der Amme und bat darum, ihm seinen kleinen Sohn Delfio zu bringen, um auf dem Teppich unter dem Baldachin ein wenig mit ihm zu spielen. Das Sitzkissen von Linhard war weggeräumt worden, fiel ihm auf.

  • Aurelien hatte eine Nachricht von einem fremden Magier empfangen, der sich freundlich suchend an ihn gewandt hatte. Das Himmelsauge kannte den Mann nicht, aber er hielt seine Augen, Ohren und vor allem seinen Verstand offen, für den Hof des Duca di Ledvico. Rida-Siraj Alim Abusani war der Hofmagier und Berater von Marchesi Lucca di Caldera und hatte für den Duca eine Nachricht.


    Scheinbar war dieser Mann ein Rakshaner, was Aurelien etwas irritierte. Was machte ein Rakshaner am Hofe eines Ledwicker Adligen? Nun was machte ein Himmelsauge am Hofe des Duca di Ledvico?


    Sein Unglück begann mit der Verfolgung einer Gruppe, allen voran mit Patrice Vertcuis!


    Aurelien erinnerte sich noch gut an das Gespräch mit seinem Ordensbruder Remy de Remuer. Ihm hatte er seinerzeit von der Schmach berichtet, die ihm und seinem geliebten Vogel wiederfahren war.


    Patrice hatte seinen Adler mit einem Gurkenglas beworfen und ihn selbst mit einem Stoffballen. Wer war so schändlich und bewirft einen Harpyienadler? Dieser Patrice. Zum Glück war seinem Tier nichts passiert, außer dass es sich erschrocken hatte. Allein die Vorstellung das sich der Adler ein Bein oder ein Flügel gebrochen hätte, ließ Aurelien vor Wut zittern. Damals hatte er beschlossen, dass Patrice beim nächsten mal die Krallen seines Adlers kennenlernen würde. Wobei er den Gedanken verworfen hatte. Patrice war untot. Er hatte keine Gedanken. Nichts.


    Er konnte nicht einen einzigen Gedanken von Patrice lesen oder auch nur erfassen. So gut konnte kein Mann seine Gedanken leeren. Aurelien schüttelte die unheimliche und freche Begegnung mit Patrice ab und klopfte an die Tür der Privatgemächer des Duca. Behutsam öffnete Aurelien die Tür und trat ein.


    "Eure Majestät? Ich habe eine Botschaft für Euch", verkündete Aurelien mit größtem Respekt und verneigte sich vor Tazio und seinem kleinen Sohn.


    Das Bild des Duca mit seinem Sohn war so voller Liebe, Wärme und Zuneigung, dass Aurelien einen Stich verspürte. Am liebsten hätte er sich dazu gesetzt. Es rührte Aurelien wie sich der Duca um sein Kind kümmerte.


    "Majestät ich habe eine Botschaft für Euch. Sie erreichte mich von dem Hofmagier des Marchesi Lucca di Caldera. Folgendes soll ich Euch ausrichten. Euer Schwager, Archiduc Dreux Gifford de Souvagne, befindet sich auf dem Weg zu Euch. Er möchte Euch einen Besuch abstatten und freut sich schon sehr auf Euch und Eure Familie. Ferner lässt er Euch ausrichten, dass er mit Marchesi Angelo di Caldera einreisen wird.


    Zur Zeit befindet er sich bei den Calderas, da ihm diese Unterschlupf nach einem Missgeschick gewährten. Davon wird er Euch später selbst persönlich berichten. Seine Anreise wird ein klein wenig dauern, denn er möchte noch ein wenig Ledwick unter der Reiseleitung von Angelo di Caldera kennenlernen. Lange werdet Ihr aber sicher nicht warten müssen. Zudem lässt Euch Euer Schwager, wie auch die gesamte Familie di Caldera die besten Grüße ausrichten", erklärte Aurelien ergeben.