• Ruinen


    Feuer und der Geruch von verbranntem Fleisch hatte in der Luft gehangen, als das Söldnerlage dem Erdboden gleichgemacht worden war. Ob die Raubvögel überhaupt gewusst hatten, was sie getroffen hatte? Wie ein Sturm waren die Angreifer über die Raubvögel hereingebrochen und hatten sie aus ihrem Nest gefegt. Eorur durchschritt die Ruinen des einstigen Lagers und schaute sich um. Von den einstigen Leichen war nicht mehr viel übrig geblieben. Die Angreifer hatten sich ihren Anteil geholt, ebenso wie die Aasfresser. Neben einem skelettierten Toten ging der Söldner in die Hocke. Eine Vielzahl an Pfeile steckte in dem Körper und verriet noch Jahre später, wie dieser Mann niedergestreckt worden war.


    Die Zerstörung war perfekt, hier war erobert, gebrandschatzt und geraubt worden. Mit äußerster Präzision war hier vorgegangen worden und die Raubvögel hatten ihre Meister gefunden. Oltremarini. Das war die Bezeichnung für jene Männer, die wie ein tosender Sturm über ihre Feinde herfielen und keinen Stein auf dem anderen ließen. So wie die See selbst, kannten sie weder Mitleid noch Gnade. Rekrutiert wurde diese Einheit aus Verbrechern und Fremdländern und sie genossen nicht umsonst den Ruf, der ihnen asamuraweit voraus eilte.


    Die Ruinen des Söldnerlagers waren eine stumme Mahnung an jene, die jene ledwicker Männer herausforderten, die scheinbar direkt aus den Tiefen des Ozeans stiegen um ihre Feinde im Staub zu zertreten.


    Eorur blieb in der Mitte des Lagers stehen. Das Lager hatte seine besten Tage hinter sich und noch immer lag ein Hauch dessen in der Luft, was sich hier einst vor Jahren zugetragen hatte. Möglicherweise war der Geruch auch nur Einbildung. Er hatte schon genug Schlachtfelder gesehen und genug brennendes Fleisch gerochen, um davon auch noch heute genug in der Nase zu haben. Sein Blick wanderte kurz zum Himmel. Graue Schleierwolken stoben darüber hinweg, als hätten selbst sie es eilig, diesen Ort schnellstmöglich zu passieren.


    Nordkling hob eine Hand voll Asche auf und ließ sie langsam durch seine Finger zu Boden rieseln. Asche. Asche die alles verschlang oder Neues gebar. Ein Schmunzeln stahl sich in seine Mundwinkel. Langsam stand er auf, klopfte sich die Hände an der Hose ab und ließ seinen Blick über die Ruinen streifen. Auferstanden aus der Asche, wieso nicht?


    Sein Schmunzeln wurde ein wenig breiter, ein Neuanfang für die alten Mauern und den alten Eorur.

  • Garlyn wollte seit Jahrzehnten nur nach Hause!


    Doch ein solches gab es nicht mehr, seit sein Meister gestorben war. Die testamentarische Freilassung erwies sich als grausamer Fluch, die einen orientierungslosen, einsamen Mann in der Weite der Welt aussetzte. Garlyn wusste nicht, wie man mit Geld umging, kannte die Gesetze nicht und auch nicht die Regeln des Zusammenlebens zwischen Menschen auf Augenhöhe. Er kannte nur das alte Spiel von Meister und Sklave und er war nie Meister gewesen.


    Ein Anwerber rekrutierte ihn für das Söldnerlager bei Obenza. Mit genügend Geld würde er sich ein Leben aufbauen können. Immerhin gab es hier wieder Meister, die ihm sagten, was er tun sollte. Garlyn lernte das Zusammenleben mit anderen auf die harte Tour und so wurde er im laufe der Jahre ein guter Kämpfer, am Ende sogar Ausbilder. Dort hatte Garlyn einen gewaltsamen Tod gefunden. Zwar wurde er durch einen Nekromanten zurückgeholt, doch an diesem Ort konnte er unmöglich bleiben!


    Garlyns Weg hatte ihn so weit wie möglich weg von dem Söldnerlager geführt. Er lief der aufgehenden Sonne entgegen, in Richtung Almanien, der Heimat seiner Väter. Ungezählte Male sah er das Morgenrot. Er hatte die almanische Grenze noch nicht erreicht, als der Bruderkrieg losbrach. Die ganze Region wurde zum Sperrgebiet erklärt. Eingesperrt zwischen den Fronten war Garlyn! Doch es kam anders, als beabsichtigt, denn als Naridier im waffenfähigen Alter wurde er kurzerhand zum Kriegsdienst eingezogen. Das Leben in der Naridischen Armee bot eine unverhoffte Chance. Es fand sich auch stets genug zu essen, denn als Ghul war er auf menschliche Leichen als Nahrungsquelle angewiesen, um nicht zu vergehen. Das Problem dabei war die Heimlichkeit, denn nicht einmal im weltoffenen Naridien hieß man es gut, wenn jemand Amputate aus den Eimern der Heiler stahl oder gar die Leichen der gefallenen Kameraden anknabberte.


    Das Rad des Schicksals drehte sich gnadenlos wie eine Knochenmühle und Garlyn wurde erwischt. Das Fehlverhalten wurde nicht an die Offiziere herangetragen, die Soldaten bestraften ihn eigenhändig. An dem Tag verlor Garlyn seine Daseinsberechtigung und sein Dienst wurde zu einem Marsch durch den Taudis, der Hunger größer, die Behandlung durch seine Kameraden zur Qual.


    Dass ausgerechnet ein Mann der Gegenseite, Vittorio Pollarotti, ihn rettete, musste ein Akt der Götter sein. Vittorio, ausgestattet mit einem Einfluss, den ein einfacher Soldat nicht besitzen dürfte und garantiert auch nicht besaß, erwirkte, dass Garlyn nach Almanien einreisen durfte. Sogar die schwer gesicherten Mauern Souvagnes konnte er passieren durch das Schreiben eines Ledvigianos.


    Und dort traf er auf den Sohn seines Meisters, der ihn als freier Mann unter seine Fittiche nahm. Garlyn durfte in Souvagne bleiben und als Ausbilder bei der Strafkompanie an der rakshanischen Grenze sein Fleisch verdienen. Das genoss er so lange, bis sein Lieblingsschützling, Robere Moreau, sein Robby, den er mehr als nur im Kampf unterrichtet hatte, seine Strafe abgesessen hatte und heimkehren durfte. Danach wurde die Strafkompanie zu einem Hort der Einsamkeit. Und als der Frieden zwischen Rakshanistan und Souvagne beschlossen ward, gab es nichts zu essen mehr. Garlyns Zeit in der Strafkompanie war endgültig vorüber.


    Garlyn verließ erneut seine Heimstatt. Endlose Tagesreisen fort musste er ziehen. Er suchte Vittorio, mit dem ihn ein unstetes, aber leidenschaftliche Verhältnis verband. Doch Vittorio war bei niemandem sesshaft. Auch nicht bei Garlyn.


    Was blieb ihm noch?


    Nur der Dienst als Söldner, denn diese würden einen Veteran mit Kusshand nehmen und sich an seinen kulinarischen Absonderlichkeiten weniger stören als die Streitkräfte eines Staates.


    Und ohne es zu wollen, lenkte er seine Schritte in Richtung Söldnerlager ... langsam nur, Alternativen abschätzend, keine findend. Hier hatte man ihm sein sterbliches Leben entrissen, sein Tod war unsagbar grausam und langwierig gewesen. Über Stunden war er zu Tode gefoltert worden.


    Was nun, Garlyn?

    Dort stand der Gebäudekomplex, die Reste der Mauer ... dort stand ein Mann.

  • Leise und unbemerkt war ein Mann dazu getreten. Immer noch weit weg, aber nahe genug um die Gesichtszüge zu erkennen. Zweifelnd sah er aus, fast schüchtern. Die ganze Körperhaltung verriet Eorur, dass dieser Mann ein Leben der Qual durchlitten hatte.


    Möglicherweise hatte es auch hier geendet, jedenfalls ein Lebensabschnitt, der ihn einst lange getragen hatte. Er selbst kannte ebenfalls solche Zeiten. Wie kamen wie Ebbe und Flut. Schoben ihn an den Strand des Lebens, oder rissen ihn von den Beinen.


    Weshalb sollte es anderen Männern nicht ebenso ergehen? Langsam ging Eorur auf den Fremden zu und hob dabei grüßend eine Hand. So sah der Mann, dass er keine Waffe in der Hand hielt und auch nicht von einer seiner Waffen Gebrauch machen wollte.


    "Grüße, Saluti", rief Eorur.

  • Garlyn ließ die angespannten Schultern sinken und atmete fast erleichtert aus. Für einen Außenstehenden mochte es merkwürdig anmuten, dass er so reagierte, gab es nach außen hin doch nichts, das auf eine Bedrohung hinwies, vor der ein Mann von seiner Statur sich fürchten müsste.


    "Der größte Feind ist die Angst, nicht wahr? Grüße ... Kamerad." Auch Garlyn hob die Hand. Er lächelte nicht, denn sie standen am Ort einer Katastrophe. Er glaubte, den anderen zu kennen, war jedoch nicht sicher. Erlebnisse veränderten Menschen innen und außen. Auch Garlyn war nicht mehr der Mann von früher. "Was ist hier geschehen?"

  • Eorur machte eine alles umfassende Geste.


    "Die Asche hat sich das Söldnerlager der Raubvögel geholt Kamerad. Jedenfalls könnte man es wohl so beschreiben. Was wirklich geschah, kann ich nur mutmaßen, aber es sieht schwer danach aus, dass die Oltremarini den Raubvögeln einen Besuch abgestatten haben. Jene Männer machen keine halben Sachen. Schau Dir die Skelette an, noch heute siehst Du, wie die Männer gefallen sind. Pfeile, Schwerter, Axte, mache mit zertrümmerten Knochen. Von Explosionen vermutlich, was immer hier noch geschehen ist. Zudem sieht man überall Spuren von Bränden.


    Was immer hier geschah, liegt bereits Jahre zurück, aber ich habe das Gefühl als könnte ich den Rauch noch riechen und sogar auf der Zunge schmecken. Hier wird es keiner raus geschafft haben. Naja vielleicht im Chaos einige schon, aber weit werden sie nicht gekommen sein.


    Du kommst mir bekannt vor und Du stehst sicher nicht grundlos hier. Genauso wenig wie ich. Mein Name ist Eorur, Eorur Nordklinge. Mit wem habe ich das Vergnügen?", fragte er rundheraus und kam noch einige Schritte näher.

  • "Eo!" Garlyn lächelte nun doch. Die Zeit hatte den Ort seines Todes selbst ausradiert und sie beide zu anderen Männern gemacht. Doch nun erkannte er das braun gebrannte Gesicht wieder und die dunklen Augen. "Eo." Er ging auf den anderen zu und reichte ihm den Unterarm zum Gruß. "Ich bin`s. Dein alter Schleifer. Garlyn Meqdarhan."

  • "Garlyn! Meq! Du! Wie viele Jahre ist es her!", antwortete Eorur und ergriff die Arme des alten Kameraden.


    "Du hast keine Ahnung was ich alles hinter mir habe und was ich hinter mir gelassen habe. Aber Dir ergeht es nicht anders, das sehe ich Dir an. Warst Du nicht... hat es Dich nicht erwischt gehabt Meq? Mich haben die alten Ruinen hierher gezogen, nach so vielen Jahren. Heute sehe ich sie klar. Vielleicht sehe ich so klar, wie noch nie zuvor. Wie ist es Dir ergangen? Suchen wir uns eine Ecke, wo wir es uns gemütlich machen und plaudern können", freute sich Eorur.


    Auf die Geschichte war er gespannt, ging doch die Geschichte um, dass es Meq erwischt hatte. Aber nicht nur das, es war wohl ein Gemetzel gwesen. Und nun stand der Mann hier, vielleicht war es nicht Meq gewesen. Eorur wartete gespannt ab.

  • "Wollen wir doch mal schauen, ob hier noch ein Flecken für uns taugt." Er schlenderte durch die Ruinen und schaute in die Reste der alten Gebäude. "Wer sagt es denn. Hier treffen sich scheinbar manchmal Leute zum Trinken." Ein Tisch und zwei Bänke standen noch immer in einem alten Mannschaftsquartier, drumherum lagen alte Trinkschläuche und zerborstene Tonflaschen.


    Garlyn ließ sich etwas umständlich und ächzend nieder. "Machen wir es uns bequem. Berichte mir, Eorur: Was hast du hinter dir gelassen? Wie hast du den Überfall überlebt? Danach erzähle ich dir, warum ich noch lebe, obgleich ich tot sein müsste." Er blinzelte freundlich.

  • Eorur folgte dem rothaarigen Hünen und nahm ebenfalls Platz. Er wühlte in seinen Taschen, doch leider konnte er nichts zu Tage befördern. Sie waren so leer wie derzeit seine Geldbörse.


    "Manche suchen verlassene Orte auf Meq, um etwas Ruhe zu finden. Ich habe hier die Vergangenheit gesucht und gefunden. Wie ich überlebt habe? Das war kein Kunststück, sondern schlichtweg Glück. Als all das hier geschah, war ich nicht vor Ort und so kam ich nicht mit den anderen um. Was ich hinter mir gelassen habe, war eine kranke Beziehung. Von Glück geküsst war ich noch nie sonderlich Meq. Aber auch so ein alter Knochen wie ich, erhofft sich ein bisschen Glück vom Leben.


    Damals dachte ich, ich hätte es gefunden. Selten habe ich so falsch gelegen wie damals. Was ich gesucht habe? Jemanden der ein Komplettpaket ist. Jemanden den ich in die Arme nehmen kann, aber mich auch selbst einmal anschmiegen darf. Klingt aus meinem Mund vielleicht seltsam, aber hat nicht jeder solche Moment? Wer ist dafür gemacht, allein zu sein? Ich bin es nicht Meq.


    Der Kerl gab sich liebebedürftig und war scheinbar eher der Part, der sich unterordnet. Aber alles was er gesucht hat, war einen Schwanz, der seine Bedürfnisse erfüllt. Jemand der ihm das Gefühl gibt, gehalten zu werden und zwar an der kurzen Leine. Jemand der bereit war, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Nur darum ging es ihm, ich selbst, ich war austauschbar. Ob er meinen Namen überhaupt gewusst hat?


    Er wollte wie ein Haustier behandelt werden. Dressiere mich, folge ich Dir belohne mich. Gehorche ich nicht, bestrafe mich. Suche Dir Rituale aus, die Du gerne an mir hättest und erziehe mich streng. Je widerwärtiger die Worte, je mehr hat es ihn erregt. Er wollte öffentlich als Haustier zu erkennen sein. Und sein größter Wunsch war... entmannt zu werden. Du hast richtig gehört. Entmannt!


    Strafe mich hart, forme meinen Körper, belohne mich mit Tätowierungen und Körperschmuck, demütige mich.... aber.... ABER es darf kein Blut fließen.


    Was von alledem wollte ich? Es waren seine Vorgaben. Wer von uns hatte wen an der Leine? Was hatte er gesucht? Außer ein Spielzeug, dass eine Bedürfnisse befriedigt? Du kannst Dir denken wie ich mich gefühlt habe. Den Kerl musste ich los werden, ich benötigte einen klaren Kopf und verschwand für einige Zeit. Ich tauchte unter Meq, so wie es in unserem Volk üblich ist. Entweder packt Dich die Wanderslust, das Fernweh, oder Du tauchst unter und schwimmst den Problemen davon.


    Und schau Dich um, heute sieht es hier so aus. Scheint so, als hätte ein Sturm hier jemanden sehr hart bestraft. Blut ist geflossen, vermutlich in Strömen. Nun bin ich wieder hier, meine Gedanken sind geordnet und ich bin frei", grinste Eorur Garlyn an.


    "Nun erzähl, was ist dran an der Legende das Du geholt wurdest?", fragte Eorur und ließ sich etwas auf der Bank herunterrutschen. Es war seltsam und dennoch schön wieder im alten Lager zu sitzen. Garlyn neben ihm, Stille und ein Hauch von Brandgeruch. Manchmal war die Welt ganz schön fair fand er.

  • "Vergib mir, dass ich etwas grinse. Ich mache mich nicht über dich lustig, sondern über mich selbst. Da sitzt vor mir so ein Ledvigiano mit dunklen Augen und erzählt mir, wie wichtig es für ihn war, unterzutauchen. Und mein Ex, tja ... der war ein Ledvigiano mit dunklen Augen, der mir regelmäßig abhanden kam. Ihn anzuleinen und zum Haustier zu machen, hätte das vielleicht kuriert. Rauchst du?"


    Garlyn bot ihm eine Lederrolle voller Pfeifenkrautblätter an. Auch ein Feuerzeug, das mittels Funkenschlag betrieben wurde, gab es dazu.


    "Ich bin hier, da ich dachte, dass ich doch einmal wieder als Söldner anfangen könnte. Ich musste damals hier fort nachdem ich getötet worden war. Du hast richtig gehört, man hat mich umgebracht, ein Irrer, der mich aufschlitzte vom Brustbein bis runter zum Schwanz, und dann ausweidete. Der wäre vielleicht der passende Gegenpart gewesen für deinen Süßen, denn ich hätte auf diese Behandlung gut verzichten können. Doch wie du siehst - hier bin ich. Lebendig und doch nicht. Ich bin ein Ghul, Eo."

  • Eoror hob abwehrend die Hände und musste dann selbst grinsen.


    "Das zu hören tut mir leid Garlyn, wie das Leben manchmal so spielt. Glaube mir, ich musste wirklich abtauchen. Du hättest einen Kerl verdient, der öfter auftaucht. Aufgeschlitzt vom Brustbein bis zum Schwanz, beim Abgrund Meq. Wer war das Schwein? Ich möchte mir das gar nicht bildlich vorstellen. Ja vermutlich hätte meinem Ex diese Strafe sehr gut getan und mir letztendlich auch. Aber es kam wie es kommen musste Meq.


    Ich freue mich, dass Du unter den Untoten weilst, sonst hätte ich Dich nie wieder getroffen. Ein Ghul, meine Fresse Meq, ist es wahr, was Ihr dann so futtern müsst? Danke für das Rauchzeug, ich zünde mir gleich etwas an. Im Moment habe ich keinen Geschmack drauf. Gleich was Du bist Meq, ob Ghul, Vampir oder was auch immer, mach Dir keine Sorgen. Du bist und bleibst mein Kamerad.


    Was hältst Du davon, wenn wir beiden uns zusammen tun und den Laden wieder aufbauen? Nur Du und ich", grinste Eorur und freute sich, dass er endlich wieder unbefangen mit jemanden sprechen konnte. Und das auch noch mit Garlyn dem alten Haudegen.

  • "Danke für deinen Zuspruch. Ghule sind nicht eben beliebt, weshalb ich das in der Regel für mich behalte. Und das liegt, wie du richtig sagst, an der Diät. Da ich zum Henker nicht tauge und als Bestatter vor Langeweile zugrundegehen würde, bleibt mir nur der Beruf als Soldat oder Sölder, um dann und wann zu naschen. Aus Rücksicht auf meine Mitmenschen und auf meine Gesundheit tue ich das unbemerkt."


    Garlyn drehte sich in aller Ruhe eine Rauchstange. Er ließ sich dabei Zeit und weil sie ihm nicht gefiel, unternahm er mehrere Versuche.


    "Ich kann dir die Narbe der Wunde, die mich umbrachte, bei Gelegenheit zeigen. Als Ghul regeneriere ich zwar vollständig, wenn ich genügend zu futtern habe, aber diese Narbe ist geblieben. Den Namen meines Mörders behalte ich für mich. Das Letzte, was ich möchte, ist, ihm ein Denkmal zu setzen, Kamerad.


    Den Laden wieder aufbauen? Wäre sofort dabei. Ich bilde wieder aus und du machst die Leute zum Tier, wenn sie nicht spuren. Wie kommt man nur darauf. Haben wir denn das nötige Kapital?"


    Dass er selbst ebenso zu devotem Verhalten neigte, verschwieg er besser, sonst rannte Eorur wohl schreiend davon und tauchte so tief unter, dass er nie wieder herauskam. Die genannten Vorlieben waren etwas, was ihn den Ex von Eorur in Beißerkreisen verorten würde.

  • "Nein nicht zum Tier Meq, zu Kämpfern. Ein Denkmal hat das Schwein nicht verdient, weder Dein Mörder noch mein Ex. Ihre Namen sollen vergessen werden. Das ist die richtige Strafe für sie. Die Narbe kannst Du mir irgendwann einmal zeigen. Was hältst Du davon, wenn wir beiden alten Knacker ein bisschen herumspinnen und uns über schöne Dinge unterhalten? Haben wir uns doch verdient. Oder meinst Du, wir sind uns hier grundlos über den Weg gelaufen?


    Geld haben wir keines, aber wir doch auch alle Zeit der Welt. Wir leisten das in Eigenarbeit und Du wirst sehen, wir bauen das Lager wieder auf. Vielleicht nicht so schnell, wie das bezahlte Profis könnten, aber hast Du es eilig? Ich nicht und ich glaube die Aufgabe würde mir gefallen und sehr gut tun. Also was ist? Handschlag drauf?", bot Eorur an und hielt Garlyn die ausgestreckte Hand hin.

  • "Vergessen sollen sie sein", bestätigte Garlyn und damit erwähnte er die beiden nicht mehr. "Ein bisschen Eigenarbeit? Keine schlechte Idee. Zeit habe ich unendlich viel, so lange die Welt nicht endgültig in Asche versinkt. Packen wir es an."


    Er griff Eorurs Hand und drückte sie fest.


    "Der Knackpunkt ist das Essen. Ein Kilo Fleisch die Woche ist das absolute Minimum, wenn ich menschlich bleiben möchte, aber besser ist diese Menge am Tag. Man merkt es mir sonst an und niemand will einem hungrigen Ghul in die Quere kommen, selbst wenn er den Appetit zügelt. Kurzum, ich werde bei Hunger unausstehlich. Das war ich allerdings schon zu Lebzeiten."


    Er klopfte auf seinen Bauch, der keineswegs so flach war, wie die meisten es von einem Söldner erwarten würden.

  • Eorur verstand den Einwand von Garlyn, schon bei normalem Hunger wurden die meisten unausstehlich. Wie es dann wohl für einen Ghul sein musste, der um seine Menschlichkeit fürchtete, wollte er sich gar nicht ausmalen. Ein Kilo Fleisch pro Tag, damit alles blieb wie es war. Eorur kratzte sich nachdenklich am Kopf und dachte angestrengt nach.


    "Muss es tatsächlich Menschenfleisch sein, oder können wir Dich auch mit anderem Fleisch versorgen? Falls nicht, wo bekommen wir Menschenfleisch her?


    Schau Dich im Lager um Garlyn, dass alles hatte mal gelebt und nun ist es nur noch eine Ruine. Wir beide werden über diese Ruine herrschen, sie wird unser Zuhause sein. Mit etwas Fleiß und Zeit, wird dieser Ort aus der Asche emporsteigen. Diesmal so, dass er nicht erneut in der Asche versinkt.


    Wir sollen damit anfangen, dass wir all das Material zur Seite legen, dass wir wieder verwenden können für unseren Aufbau. Stück für Stück bauen wir so die Häuser wieder auf. Manche die zu schwer beschädigt sind, können wir auch für die besser erhaltenen ausschlachten. Wichtig ist eben, dass dies nun unser Fleck ist Garlyn. Wir haben hier zu viel verloren, als das wir uns den Gewinn entgehen lassen dürfen", sagte Eorur aufrichtig.

  • "Alles hat seinen Preis, Eo. Auch die Unsterblichkeit. Vampire vertragen kein Tageslicht mehr und manche haben sogar mit dem Mondlicht Probleme. Sie sind dazu verdammt, einen umgekehrten Rhythmus zu leben wie jeder andere. Und ein Ghul ist zum Dasein als Kannibale verdammt. Es muss nicht täglich ein Kilo sein, aber bekomme ich allzu wenig zu futtern, wird es unappetitlich."


    Er hob die Brauen. "Woher ich das Fleisch bekam ist nicht schwer zu erraten bei einem Söldner. Lass mich dann am besten einfach allein, nimm die Jungs und verzieht euch."


    Damit spazierte Garlyn zu einem der abgebrannten Gebäude des Komplexes.


    "Der Dachstuhl wird eine Herausforderung. So lange wir kein Geld haben, brauchen wir Freunde. Kennst du irgendeinen Zimmermann? Oder andere Handwerker? Was hast du gelernt, bevor du eine Mietklinge wurdest?"

  • Die Erläuterung von Garlyn war logisch, alles hatte seinen Preis. Jede Wahl die man traf, jede Art zu leben. Auch die des Söldners. Aber entgegen seiner Wahl musste sich Garlyn mit ganz anderen Problemen abfinden. Er würde ihn in Ruhe lassen, sobald dieser seine Ruhe benötigte. Wer wusste schon, wie Garlyn nach Essen suchte? Aktiv oder passiv? Nahm er was er fand, oder gab es bestimmte Personen die er gerne auf dem Schlachtfeld erledigte, schlicht weil an dem Feind viel dran war? Vermutlich ging beides Hand in Hand.


    Eorur dachte angestrengt nach, wen er so kannte. Ein paar helfende Hände konnten nicht schaden. Die meisten die er kannte, waren Söldner genau wie er. Aber auch sie hatten eine Vergangenheit, die sie in das Leben als Mietklinge verschlangen hatten.


    "Gelernt habe ich eigentlich nichts Garlyn, ich habe mich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen. Aber das heißt nicht, dass ich nichts kann. Handwerklich habe ich einige Fähigkeiten. Natürlich nicht vergleichbar mit einem Handwerker, dass wäre übertrieben, aber für den Eigengebrauch reicht es. Wir fragen in unserem Freundes- und Bekanntenkreis nach Garlyn. Vielleicht schließt sich der eine oder andere uns an. Dann wird dieser Ort ganz anders aufleben. Etwas das unser ist", sagte Eorur und man hörte ihm an, dass er sich nach so einem Ort sehnte.

  • "Hm. Also halten wir fest, dass keiner von uns beiden irgendetwas richtig gut kann, als die Klinge schwingen oder Rekruten anbrüllen. Familie ist bei dir vermutlich nicht vorhanden, sonst hättest du sie erwähnt. Bei mir auch nicht. Wir haben es wirklich bitter nötig, unter ein Dach zu kommen."


    Er atmete tief durch und blickte an dem verfallenen Haus hinauf, tätschelte dann den verkohlten Stein.


    "Hast du Bekannte hier vor Ort, die man anhauen könnte? Ich kannte mal einen, der uns einen Kredit hätte geben können, aber den habe ich verputzt."

  • "Oh man", stöhnte Eorur und kratzte sich ausgiebig. Sie hatten wirklich nichts und niemanden. Nun hockten sie hier und planten das erste Mal in ihrem Leben etwas aufzubauen, anstatt etwas klein zu schlagen. Das war immerhin etwas.


    "Garlyn, wenn Du es so auf den Punkt bringst, war es Schicksal, dass wir uns hier gefunden haben. Wen oder was haben wir, außer das hier? Ich habe keine Familie, niemanden zu dem ich gehöre. Überhaupt niemanden Garlyn. Nun vielleicht ist es nicht sonderlich ratsam, jene zu verspeisen, die uns helfen könnten. Oder hatte er es verdient?", grinste Eorur. So konnte man auch seine Schulden loswerden, man fraß den Kredithai auf.


    Nordkling versucht krampfhaft dabei nicht zu grinsen, es war ein ernstes Thema und Garlyn schien es wichtig zu sein. Vielleicht hatte er den Mann auch aus Reflex verschlungen.

  • Garlyn rieb sich den Kinnbart und musste grinsen, als er sah, wie Eorur versuchte, ernst zu bleiben. "Verdient hätte der Kerl es hundert- und tausendfach. Es wäre also kein Drama gewesen, hätte mein alter Herr und Meister nicht ein Auge auf den Kerl geworfen gehabt. Seither mag er mich nicht mehr sonderlich gut leiden."


    Sein Grinsen wurde noch breiter. "In einer Sache irrst du, denn wir sind Kameraden, folglich stimmt es nicht, dass du zu niemandem gehörst. Viele finden ihr wahres zu Hause bei den Streitkräften. Einer meiner Lieblingsrekruten war so einer, der hätte nicht mal die Strafkompanie verlassen, wäre es nach ihm gegangen. Der wollte für den Rest seiner Tage dort bleiben, im Ödland zwischen Zivilisation und Rakshanistan.


    Wir sind schon zwei Chaoten. Das Söldnerlager wird gut. Mir fällt gerade ein, dass es in Obenza eine, hm, Lieferkette für Ghulfutter gibt, vornehm ausgedrückt. Also bis wir das erste Mal in die Schlacht ziehen, könnte ich mir dort mein Fleisch organisieren."