Wolkenbruch
Wie es sich für einen Tag gehörte, an dem eine Familie auseinanderbrach, regnete es in Strömen. Es war ein heftiges, warmes Sommergewitter. Drei Chevaliers kämpften sich unter diesen Bedingungen Kilometer um Kilometer mit ihren Pferden vorwärts. Außer Landes zu kommen, ohne dass man an der Grenze ihre Personalien aufnahm, hatte sich als nicht ganz einfach erwiesen. Der Mauerbau wurde unerbittlich vorangetrieben. Im Norden und Westen war kaum noch ein Durchkommen, aber im Süden gab es noch eine grüne Grenze. Die kleine Gruppe schlüpfte an dieser Stelle von Souvagne hinüber nach Ehveros.
Einige Tage später trafen drei schwarz und grau gewandeter Rittersleute in Drakenstein ein. Sie ritten auf struppigen Grauschimmeln und trugen rostige Kettenrüstungen und Waffen, waren auch ansonsten kaum standesgemäß anzuschauen. Ihre Gesichter waren unrasiert, die schwarzgrauen Haare fettig. Man sah anhand der Gesichter, dass die drei Männer miteinander verwandt sein mussten, aber auch ihre einheitlich grauen Wappenröcke trugen dies zur Schau: Eine schwarze Gewitterwolke prangte über der Brust und ein Blitz verlief über den Bauch. Einer der beiden war schon um die 70 Jahre alt, die anderen beiden mochten um die 50 Sommer und Winter gesehen haben. Ihr Haar war von Silber durchzogen, doch sah man noch deutlich, dass es einst rabenschwarz gewesen war.
Vor dem Palast von Drakenstein gaben sie ihre Pferde bei den Ställen ab. Einer der Jüngeren winkte einen Dienstboten herbei und sprach mit ihm. Kurz darauf kam jemand, der die drei Chevaliers in den Palast führte. Die drei schauten sich interessiert um. Der Palast der Großherzogin von Ehveros war rustikaler als der Palast des Ducs, den sie gewohnt waren. Er sah mehr aus wie eine Burg. Den Duponts gefiel es, es erinnerte sie an ihre alte Heimat. Mit Wehmut gedachten sie des Verlusts, doch vielleicht bot die Zukunft ganz ähnliche Freuden wie die finsteren Hallen ihrer Gewitterfeste.
Zwei Gardisten öffneten für sie die schwere Prunktür zum Thronsaal. Großherzogin Ricarda von Ehveros saß stolz auf dem Thron, flankiert von der Leibgarde. Bei ihr stand ihr Herold. Eine Zofe konnten die Duponts auf den ersten Blick nirgends sehen.
In respektvollem Abstand fielen die drei zerlumpten Chevalier auf ein Knie. Bhajan, der sich in der Mitte der drei befand, ergriff das Wort.
»Eure Majestät, mein Name ist Bhajan von Chevaliersgeschlecht der de Duponts. Der souvagnische Stand des Chevalier entspricht dem Ritterstand in Ehveros. Dies sind mein Vater, Kalenian und mein Bruder Benjamin de Dupont. Wir möchten in Eurem schönen und weitgerühmten Land um Asyl ersuchen.
Duc Maximilien de Souvagne verbannte unsere Familie einst aufgrund eines schrecklichen Missverständnisses aus der `eimat. Man `at uns der Majestätsbeleidigung bezichtigt, unsere Burg geschliffen, unser Wappen aus den Schriftrollen getilgt und unsere Familie über die Grenze gejagt wie Verbrecher. Mein Onkel Calvin, unser e`emaliges Familienober`aupt, starb bei dieser `etzjagd. Ebenso meine liebe Schwester Bianca und mehrere unserer Kinder. Nach Jahrzehnten der Verbannung, in der wir uns wie Verbrecher in den Sümpfen von Ledwick verbergen mussten, gewährte der Duc uns Gnade. Spät, zu spät für viele von uns, die nun bei den Gräbern Ru`e ewige fanden.
Ein Teil unserer Familie nahm diese sogenannte Gnade an und kehrte in die einstige `eimat zurück. Wir jedoch können das Unrecht, was man uns angetan `at, nicht verzeihen. Wir wünschen nicht, unter einer solchen Regentschaft zu leben, die solche Grausamkeiten zulässt und den gekränkten Stolz über Menschenleben stellt.
Darum möchten wir Euch, Majestät, unsere Dienste und unser Schwert anbieten.«
Keiner der Drei wagte es, den Blick zu heben, als sie auf die Antwort von Ricarda warteten.