Wie Yeriel ihr hilfloses Dasein bisweilen verfluchte.
Gefesselt an die goblinische Konstruktion eines Rollstuhls wurden bereits einfachste Tätigkeiten zu Herausforderungen oder gar Unmöglichkeiten.
Normalerweise hatte sie für solche Fälle einen Diener dabei, doch ihr neuer Helfer war eindeutig noch nicht so gut zurechtgeschliffen wie die Goblindame, die sie früher immer begleitet hatte. Atri war ein Staubteufel, der am liebsten überall herumstreunte.
Ausserdem schien der Düsterling sich nie gänzlich entscheiden zu können, ob er sie wegen ihrer Gehbehinderung verachten, oder wegen ihrer kühlen Art und der unheimlichen Gabe fürchten sollte. Und deshalb war es oftmals ein wahrer Kraftakt, den jungen Kerl unter ihren Fittichen zu halten. So war er auch an diesem Tag irgendwo in dem riesigen Gemäuer am Grund des Meeres verschwunden, vermutlich um Ratten und Schaben zu jagen.
Die Lichtalbin seufzte genervt auf und versuchte sich nach dem heiss begehrten Buch zu recken, das nur etwa zwei Köpfe über ihr im Regal thronte. Jeder andere hätte problemlos danach greifen können, doch ihr blieb es versagt.
Nur ihr eiserner Stolz liess es nicht zu, dass sie laut fluchte, obwohl sie im Inneren brodelte. Stattdessen liess sie sich mit wütend funkelnden Augen in den unbequemen Stuhl zurücksinken und ballte die Fäuste.
Oril und seine Priester seien verdammt!
Im nächsten Moment hörte sie das Echo eiliger Schritte und ihr Kopf wirbelte herum.
Hatte jemand ihre verzweifelten Versuche beobachten können?
Ihr Blick verdüsterte sich, als sie einen grossgewachsenen Mann den Regalreihen entlang auf sich zukommen sah.
Yeriel war erst seit wenigen Wochen an der Akademie und noch immer fand sie sich in dem verwinkelten Gebäudekomplex schwer zurecht. Die steinernen Gänge glichen einer dem anderen, nur die staubigen Buchrücken gaben Aufschluss darüber, in welcher Abteilung man sich gerade aufhielt. So kam es nicht wenig vor, dass sie die Orientierung verlor oder plötzlich von einer Treppe überrascht wurde.
Ein Blick auf die magisch schimmernden Stalaktiten an der Decke, welche je nach Tageszeit leicht ihre Farbe veränderten, liess sie zusammenzucken. In nur wenigen Minuten begann der Nekromantieunterricht bei Madame vom Felsenschlund und sie konnte Unpünktlichkeit nicht ausstehen – Yeriel im Grunde genommen ja auch nicht!
Der Mann war nun beinahe auf ihrer Höhe angelangt und offensichtlich war er ebenso in Eile. Im Grunde interessierte er sie nicht und hätte sie eine andere Möglichkeit gehabt, hätte sie ihn einfach ignoriert.
„Könnt Ihr mir einen Gefallen tun?“, fragte sie deshalb, wobei sie ihm ein Lächeln schenkte, das ihre kühlen Augen jedoch nicht erreichte. Dabei hatte sie ihren Blick herausfordern auf ihn gerichtet.
War er einer derjenigen, die sich voller Schadenfreue über ihre Misere lustig machten? Oder einer, welcher alles stehen und liegen liess, um der armen Frau zu Hilfe zu eilen? Und dann gab es ja auch noch die Sorte, welche einfach Augen und Ohren verschloss und schnell an ihr vorbeihastete.
Er schien ihr entfernt bekannt vorzukommen, war er in einem ihrer Kurse oder ein ebenso häufiger Besucher der Bibliothek wie sie selbst?
Immerhin hatte er angehalten und schaute sie fragend an.
Yeriel nutzte die Chance: „Mit einem Griff nach dem grünen Umschlag dort könnt Ihr mir eine Menge weiteren Frust ersparen.“
Das besagte Buch trug den freundlichen Titel: „Verflucht nochmal – Flüche und ihre Nebenwirkungen“.