Tarnev war nun schon seit gut 2 Monate am Bord des Schiffes von Kapitän Steingerd Sohn des Arnstar, welcher nicht nur Kapitän, sondern zugleich auch der Jarl des Mäuseclans war. Er hatte das Oberkommando auch über die frostalbische Division auf seinem Schiff. Das Schiff sollte nach Meinung des Navigators Herdis Sohn des Alding in etwa einer Woche in Sichtweite von der Raben-Norkara Stadt Khilar sein. Hier wollten die Clan der Wölfe, Mäuse, Robben, Seelöwen und Seebären einen Offensivschlag gegen den Flottenstützpunkt der Raben-Norkara führen. Die ganze Fahrt stellte für die frostalbische Division eine ungeheuere Anstrengung dar. Zum Einen der Temperaturwechsel, da sie immer mehr in südlichere Gefilde kamen. Aber auch der fehlende Kontakt zum Festland machte den Frostalben zu schaffen. Sie waren kein Volk der Seefahrt. Nie zuvor hatte ein Frostalb ein Schiff betreten. Zumindenst nicht für so eine lange Reise.
Doch auch die erhöhte Sonnenaktivität machte den Frostalben zu schaffen. Viel häufiger, als in ihrer frostigen Heimat, mussten sich die Frostalben in ihr Zimmer zurückziehen und die überschüssige Sonnenergie aus ihrem Körper mittels den Dunkelsteinen entziehen. Für den Krieg gegen die Raben-Norkara hatte jeder der Frostalben einen Dunkelstein bekommen, womit sie genau so leistungsfähig waren, wie die Norkara. Ohne einen Dunkelstein würden die Frostalben permanent übermüdet sein und sie wären so keinerlei Hilfe für ihre Verbündeten.
Dabei war es anfangs gut gelaufen. Als sie noch auf der Sturmsee unterwegs waren, hatten nachts immer die Frostalben das Schiffsruder übernommen, die sich bei den nächtlichen Temperaturen erst begannen wohlzufühlen. Ab und zu hatte man dann gehört, wie nachts ein Frostalb ins eiskalte Wasser sprang, da Wassertemperatur bekanntlich kälter, als die Lufttemperatur ist. Bei einer Temperatur, wo Norkara innerhalb von wenigen Minuten erfrieren würden. Die Dunkelsteine hatten sie während jener Zeit kaum gebraucht.
Je südlicher sie kamen, desto wärmer wurden aber die Tage und Nächte. Der warme Ozean des Dhunik bot mittlerweile auch keine Erfrischung mehr. Und deswegen waren die Frostalben mittlerweile voll auf ihre Dunkelsteine angewiesen. Andernfalls müssten sie nach einer 2-3 Stundenschicht schon wieder in ihr Zimmer gehen, was kein Frostalb freiwillig getan hätte. Eher würden sie arbeiten, bis sie bewusstlos aufgrund der Sonneneinstrahlung zusammensacken würden. "Aufgeben ist etwas für die Schwachen."
Keinesfalls wollten die Frostalben gegenüber ihren Verbündeten Schwäche zeigen.
Tarnev stand derzeit am Ausguck und beobachtete die Umgebung. Genau genommen war es der Job, für den er sich in den ersten Tagen am besten qualifiziert hatte und er diesen deswegen immer noch ausübte. Ab und zu wurde er zum Schrubben oder zum Leerpumpen der Bilge abbestellt. In der Küche hatte er sich in der ersten Woche sehr schlecht angestellt. Was für Tarnevs Geschmack ein "nahrhaftes Essen" war, war für die Norkara ungenießbar und nicht schmackhaft. Mit Takelage und Segeln kannte er sich nicht aus. Die erfahrenen Bootsmänner hatten die Frostalben aber innerhalb der letzten Wochen gut angelernt, sodass sie die wichtigsten seemännnische Befehle kannten, und die Befehle des Kapitäns zur Steuerung des Schiffes mit den Segeln umsetzen konnten. Komplizierte Schiffsreperaturen durchzuführen, oder sich um die Instandhaltung der Zimmer zu kümmern, überstieg Tarnevs Sachverstand.
Tarnev stand kerzengerade in seinem Ausguck und überblickte die Umgebung. Durch seinen Sehfehler war er nicht auf ein Fernglas angewiesen, sondern konnte weit in die Ferne gucken und noch kleine Details erkennen. Was den Frostalb aber am meisten störte war, dass man soviel kommunizieren musste auf dem Schiff. Ständig quasselten einen die anderen Norkara Männer mit ihren Lebensgeschichten voll. Tarnev hatte schon soviele unnötigen Details gehört, dass er manchmal schon daran gedacht hatte die Person einfach umzubringen, damit sie endlich ihr Maul hielt. "Ein Rudel Sandjäger auf 2 Uhr," meldete Tarnev routinemäßig. Er ging nicht davon aus, dass sie eine Bedrohung darstellten, sonst hätte er das anders gemeldet. Doch bei diesem Volk konnte man nie wissen. Obwohl sie eigentlich Verbündete waren, hielten sich die wenigsten Sandjäger an das Abkommen, sondern griffen auch freundlich gestimmte Schiffe an. Der jüngste Kampf vor ein paar Tagen hatte dies offenbart.
Doch die Sandjäger drifteten seitlich ab und schwammen in eine andere Richtung. Nach wie vor übernahmen die 30 Frostalben die Nachtschicht, und die Norkara die Tagesschicht. An Bord des Schiffes waren neben den 55 Norkara, auch noch 15 Arashi, 10 Sandjäger, die abwechselnd Tag und Nacht arbeiteten. Das Führungspersonal, also die Schiffsoffiziere, wurde aber nicht von den Frostalben besetzt, sondern von den Sandjägern und Norkara. Auch bei Nachtschicht der Frostalben musste daher immer eine Nachtschicht des Führungspersonals zugegen sein. Vorallem der Steuermann, der Rudergänger und der Kapitän . Bei Tag übernahm der 1. Maat die Führung über das Personal. Den frostalbischen Anführer hatte man ehrenhalber zum 2. Maat ernannt, obwohl er keine Erfahrung hatte, und eigentlich nur seine Soldaten befehligte. Es handelte sich dabei, um den Magier Damukan Schattenbruder - Einer der mächtigsten Magier aus dem Frostkönigreich.
Tarnevs Schicht neigte sich dem Ende zu. Die Sonne hinterließ ihre ersten Strahlen auf der Wasseroberfläche. Die Himmelswand färbte sich leicht rot und im Wechselspiel mit den dichten Wolken ergab sich ein schöner Anblick. Tarnev blickte nach vorne und beobachtete die Wasservögel. Er atmete tief ein. Für eine ganz kurze Zeit regte sich ein Lächeln in seinem Gesicht. Ein Gefühl innerer Zufriedenheit. Kurz hatte es den Anschein, als würde der Frostalb verstehen, warum die Norkara die Seefahrt so liebten. Doch dieser Augenblick verflog schnell, als Tarnev darauf wieder streng seiner Tätigkeit nachkam und sich nicht mehr ablenken ließ. Sein Blick verfinsterte sich. Seine Miene wurde kalt und strahlte wieder die Lieblosigkeit aus, wie sonst auch.
Tod allen Schwachen!, war sein Gedanke. Ein Wasservogel hatte gerade einen Fisch aus dem Ozean gefischt und flog nun mit diesem davon.
Die Natur war dafür der beste Lehrer.