Blutrote See - Kapitel 19 - Die Bitte
Silvano hatte sich von Boldiszar und Davet verabschiedet. Gemeinsam machten sich die beiden auf nach Beaufort, einerseits um Möbel für ihre Dschunke Tordalk einzukaufen, andererseits um sich etwas näher kennenzulernen. Wie nah sich die beiden gekommen waren, dass würde Silvano vermutlich am Abend erfahren. Falls es etwas zu erfahren gab. Was Mancini allerdings schwer hoffte.
Eigentlich hatte Vano beschlossen, umgehend nach Hause zurückzukehren und sich dort um Bevis den kleinen Schiffjungen zu kümmern. Aber eine Stunde früher oder später die er heimkam war bedeutungslos. Zumal seine Mutter Leala und Santo sicher auf den Knirps gut Acht geben würden.
Mancini änderte seine Meinung und begab sich zum Palast. Wie jeder andere, der eine Audienz erbat, nahm er vor dem Thronsaal Platz und wartetet geduldig bis er an der Reihe war. Es dauerte etwas, denn kurz vor Jahresabschluss gab es immer das eine oder andere, was an einem Haus kaputt ging, Dinge die angeschafft werden mussten, oder sonstige kleine wie auch große Probleme.
Das alte Jahr verabschiedete sich meist mit zusätzlichen Kosten, mit denen niemand gerechnet hatte. Und die klamme Kälte die über das Land hereingebrochen war, tat ihr übriges dazu bei, dass so mancher marode Schuppen der den Sommer noch gut überstanden hatte, nun dringender denn je einer Reparatur bedurfte. Meist kümmerten sich die Lehnsherrn um derartige Probleme, aber in Sonderfällen oder auch bei freien Bauern war scheinbar stets der Duc die erste Anlaufstelle.
Eine alte Frau die die ganze Zeit neben ihm gesessen und ihm vom Tod ihrer einzigen Milchziege erzählt hatte, war endlich an der Reihe. Mit den Worten "wünscht mir viel Glück", verabschiedete sie sich mit schlotternden Knien in den Thronsaal. Silvano hätte ihr sogar das Geld für die Ziege zugesteckt, aber leider war er selbst blank bis auf den letzten Cent. Er wünschte der alten Dame Glück und hoffte für sich selbst, dass der Duc heute in Geberlaune war.
Eigentlich war ihr Großherzog stets großzügig und gerecht.
Aber Vano wollte erneut ein leidiges Thema vortragen - die Farisin. Gerade als er sich die passenden Worte zurechtlegte, erschien der Hofmarschall und nickte ihm zu. Adrien Meunier war ein feister, fetter, kleiner Mann der stets nach Brathähnchen roch und wie immer im Amt geschminkt war. Mancini kam sich schlagartig nackt vor, dennoch folgte er umgehend der Aufforderung.
Der Hofmarschall betrat vor ihm den Thronsaal, kündigte ihn an und verließ wie es sich gehörte rückwärts den Saal. Silvano trat vor den Thron des Großherzogs und blieb im gebührenden Abstand stehen, bevor er auf ein Knie ging.
Es war nicht erlaubt, dem Großherzog in die Augen zu schauen, aber beim Betreten des Thronsaals hatte er einen Gesamtblick auf den Duc erhascht. Der Duc saß wie üblich im vollen Orant auf dem Thorn, das Gesicht eine unbewegliche Maske, die Haare wie Sonnenstrahlen die ihm über die Schultern fielen. Er wirkte entspannt, soweit Silvano dies beurteilen konnte. Heute war der Großherzog allein, seit geraumer Zeit hatte ansonsten der Archi-Duc neben ihm gesessen. Aber der Kronprince weilte in den wilden Landen und machte diese nutzbar.
"Chevalier Bovier de Mancini-Desnoyer mit welcher Bitte tretet Ihr an uns heran? Euch sollte bewusst sein, dass Euer Ehemann Euer Sprachrohr ist. Nun denn, da Ihr hier seid, schenken wir Euch unser Gehör. Tragt Eure Bitte vor", eröffnete der Duc das Gespräch.
"Ich danke Euch für Chance vor Euch sprechen zu dürfen Eure Majestät. Mir ist bewusst, dass mein Ehemann für mich zu sprechen hat. Aber ich trete vor Euch, nicht um meiner selbst Willen. Erneut möchte ich ein unleidliches Thema ansprechen und zwar dass der Farisin Hoheit", erklärte Mancini.
"Das Thema bezüglich des Farisin-Einsatzes hatten wir bereits erörtert Chevalier. Sobald Ihr genesen seid, erhaltet Ihr Eure Chance jene Kreaturen zu beseitigen, die eine Gefahr jeden unschuldigen Seemann darstellen. Ihr erhaltet diese Chance sogar mit unserem Segen. Was möchtet Ihr hierzu noch anmerken? Eine Abkehr des gesprochenen Urteils wird es zu Eurem Besten nicht geben Chevalier Bovier de Mancini-Desnoyer. Eure Passion oder besser gesagt Obsession in der Sache in allen Ehren, unser Urteil ist Euch bekannt", antwortete der Duc umgänglich.
"Ja Eure Majestät, es ist mir bekannt und ich danke Euch für Euer großzügiges Urteil meine Person betreffend. Allerdings möchte ich nicht für mich bitten. Schaut, ich habe den Erstschlag gegen die Farisin geführt. Der Rat der Zwölf ist tot.
Jeden Tag, den wir nun verstreichen lassen, nützt den Farisin Hoheit, nicht uns!
Sicher ich hätte diese Entscheidung nicht im Alleingang treffen dürfen, zumindest hätte ich Euch und auch meine höhergestellten Kollegen informieren müssen. Hoheit, dass alles ist mir bewusst. Und das möchte und werde ich gewiss auch nicht in Frage stellen.
Aber wie ich gerade anmerkte, spielt die Zeit im Moment für die Farisin, wenn wir auf meine Genesung warten.
Ich bitte Euch nicht, mich von dem gefällten Urteil zu entbinden.
Ich bitte Euch inständig, beendet dass was ich begonnen habe.
Ich bitte Euch, schickt die Choucas unter Befehl von Kapitän Davet la Caille oder Jaques Philipp de Dusolier um den Farisin beizukommen.
Ein Schiff allein wird nicht ausreichen um unsere Verluste zu minimieren. Ich bitte Euch, schickt eine Armada von bis zu fünf Schiffen unter Befehl von Grand Admiral Carolos Donatien de Dusolier samt seinem Schiff der Vautour. Gemeinsam mit der Choucas, der Mouette, der Cygnus und eventuell der Aquila wird keine Echse gegen diese Streitmacht eine Chance haben.
Ferner erbitte ich, dass Grand Admiral Carolos Donatien de Dusolier gemeinsam mit Kapitän Davet la Caille und Kapitän Rene Lothair de Brisay einen Schlachtplan ausarbeitet. Beiden Kapitänen sind die Seerouten um Farisin bestens vertraut, zudem kennen beide den Feind.
Ich erbitte also nichts für mich Hoheit, ich erbitte etwas für die Marine Souvagnes und Souvagne selbst. Die Farisin sollten jetzt angegriffen werden, wo sie noch geschwächt sind. Über die Gefahr die von diesen Wesen ausgeht, wird Euch Euer Bruder vollumfänglich informieren. Ebenso mein alter Kapitän Rene Lothair de Brisay. Beides absolut zuverlässige und ehrenwerte Männer. Das ist es, worum ich Euch bitten möchte", erklärte Silvano ergeben.
Der Duc schwieg einen Moment nachdenklich.
"Wir kommen Eurem Wunsch nach Chevalier Bovier de Mancini-Desnoyer.
Bestellt unseren Bruder Kapitän Prince Davet Salvatore de Souvagne la Caille, Grand Admiral Chevalier Carolos Donatien de Dusolier, Kapitän Rene Lothair de Brisay sowie Kapitän Chevalier James Georges de Dusolier ein. Ferner bestellt unseren Sohn Ciel Felicien de Souvagne und dessen Ehepartner ein. Wir möchten mit den Vorgenannten Rücksprache bezüglich des Farisin-Einsatzes halten", entschied der Duc.
"Ich danke Euch Eure Majestät", sagte Silvano glücklich.
"Ihr erhaltet von uns unaufgefordert weitere Nachricht, wie wir in dieser Sache verbleiben werden Chevalier. Ihr dürft Euch verabschieden", erklärte der Duc freundlich.
Silvano verneigte sich tief und ergeben und verließ wie zuvor der Hofmarschall rückwärts den Thronsaal, bevor er den Palast verließ.
Draußen angekommen, traf er die alte Dame wieder, die für eine neue Milchziege um eine Audienz gebeten hatte. Sie lehnte an einen Zaun und gönnte sich zur Beruhigung der Nerven eine Rauchstange.
"Wie ist es bei Euch gelaufen?", hakte Silvano.
"Sehr gut, ich war so aufgeregt! Ihr könnt Euch nicht vorstellen wie aufgeregt ich war. Aber ich habe einen Wertschein bekommen und schon morgen darf ich mir meine neue Ziege abholen. Und bei Euch?", fragte sie glücklich und reichte Vano eine Rauchstange.
"Genauso gut, wenn alles klappt haben meine beiden Männer und einige Verwandte bald Arbeit. Gute Arbeit. Danke für die Rauchstange", grinste Vano gut gelaunt.
"Das ist Recht so, gute Arbeit braucht ein Mann, ein jeder", sagte die alte Frau.
Gemeinsam standen sie noch einige Zeit an den Zaun gelehnt und genossen glücklich schweigend ihre Rauchstangen, ehe sich ihre Wege trennen und sich beide auf den Heimweg machten.