«Mylady, ein Brief ist für Euch angekommen!», aufgeregt wuselte Dorothea durch die ebenerdige Wohnung, jedoch nicht ohne sich zuerst davon zu überzeugen, dass die untote Katze der Nekromantin ausser Reichweite war. Obwohl das Tier nicht bösartig auftrat, es befolgte nur die Befehle seiner Herrin und verlor dabei büschelweise Fell, gruselte der älteren Goblin vor dem Vieh. Und das, obwohl dieser Zombie noch einer der schöneren war, da er erst vor Kurzem den Tod gefunden und wiederbelebt wurde.
Dorothea selbst hatte den Auftrag erhalten, den toter Körper bei einer Nachbarin abzuholen, nachdem diese sich bei Fräulein Iolanthe gemeldet hatte.
Manchmal wurde der älteren Dienstmagd jedoch auch aufgetragen, einen Leichnam in einer dunklen Gasse einzusammeln, den zuvor eine der untoten Ratten ausfindig gemacht hatte. Dorothea ärgerte sich darüber, dass nicht der centaurische Diener für diese Aufgabe eingeteilt wurde, doch gleichzeitig war ihr auch bewusst, dass er weit mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken würde in der Stadt, als eine alte Goblin. Sie mochte den Centauren nicht.
Wie konnte Fräulein Iolanthe bloss so einen Halbmenschen in ihrer Gesellschaft wünschen?
Doch die Wege der Lady waren unergründlich.
Yeriel sass indessen in ihrem Rollstuhl, der nach Goblinart gefertigt war. Sie hasste dieses Ding, es erinnerte an einen klapprigen Stuhl mit Rädern. Er war steinhart und nur dank Dorotheas Häkel- und Strickkunst federten zwei weiche blumenbestickte Kissen das Ruckeln des Untergrundes ab.
Eine albische Konstruktion wäre um einiges bequemer und vor Allem ästhetischer ausgefallen – doch auch unglaublich unhandlich. Ungern erinnerte sich Yeriel an zentnerschwere Gefährte, die, wenn sie denn einmal in Fahrt kamen, kaum zu bremsen waren. Dahingegen waren die goblinischen Rollstühle unheimlich leicht und gut händelbar für die feingliedrige Lichtalbin.
Sorgfältig öffnete sie das Couvert und zwei Eintrittskarten fielen ihr in den Schoss. Mit den Fingern tastete sie nach einem Brief, doch kein Schreiben war beigelegt.
Neugierig betrachtete sie die Einladungen, auf denen in verschlungenen Buchstaben der Name Variete Kuriosita auszumachen war. Ein durchschnittlicher Zeichner hatte einen Feuerschlucker und einen Drix darauf abgebildet. Es war keine Orts- und Zeitangabe zu erkennen, und Yeriel vermutete bereits den Grund dafür. Dies waren Karten für eine Zirkusvorstellung und diese verweilten bekanntlich nie lange in derselben Stadt.
Verächtlich zog sie die Augenbrauen hoch.
Da hatte sich wohl wieder einmal jemand einen bösen Scherz mit ihr erlaubt. Es war an der Zeit, sich einen neuen Wohnort zu suchen, die Leute hier waren zu engstirnig für ihre Nekromantiekünste und auch ihre Bilder verkauften sich in diesem verschlafenen Kaff nur schlecht. Sie bräuchte fantasievolle Käufer, keine dumpfen Kleinbürger.
„Oooh, ihr habt Karten für das Varieté erhalten“, Dorothea starrte mit leuchtenden Augen auf die Tickets. Yeriel bemerkte vergnügt das erwartungsvolle Glitzern in den Augen der Goblindame. Ihre eigene Miene blieb unbeteiligt, als sie wie nebenbei bemerkte: „Vermutlich nur wieder von einem der Bauerntölpel, die mich demütigen wollen. Eine Behinderte passt doch ganz passabel in ein Varieté Kuriosita. Ich werde diesem Anlass fernbleiben.“
Sogleich ersetzte Enttäuschung die freudige Erwartung von Dorothea, die sich bereits als mögliche Begleiterin sah.
„Stattdessen gönnen Du und Elliot euch einen unterhaltsamen Abend“, setzte sie ihre Worte mit Bedacht und einem leichten Lächeln fort. Als Dorothea endlich ihre Dankesbekundungen beendet und aus dem Haus getürmt war, um den Centauren aufzusuchen, liess sich Yeriel nachdenklich ins Kissen zurücksinken, allein mit ihren Gedanken.