Unter Frater Kasimir LaVaney wölbten sich die regenschweren Wolken wie ein konturloses Geistergebirge. Sein weißer Talar fühlte sich klamm an und er spürte die Kälte des schweren silbernen Kettenhemdes darüber. Wegen des Flugwindes hatte er die Kapuze seiner ärmellosen Robe, die er über dem zeremoniellen Kettengewand trug, über sein kahlgeschorenes Haupt gezogen. Der Greif beförderte sie beide sicher über die Unbillen des Wetters hinweg. Während unter ihnen Asamura im Regen versank, strahlte über ihnen Oril und der Frater fühlte sich ihm nahe. Trotz der Kälte lächelte er. Körperliche Leiden machten ihm nichts aus. Auch Oril musste leiden, wenn er des Nachts mit Malgorion kämpfte und sein Leid, das er für sie alle auf sich nahm, war um ein vielfaches größer. Die ungezählten Sterne, verspritzte Tropfen seines silbernen Blutes am Nachthimmel, bezeugten es. In der Ferne hob sich der Gipfel des Skyron über die graue Wolkendecke. Dass der Berg sich immer über den Wolken befand und das Licht an diesem Orte niemals von ihnen verdeckt wurde, bewies, dass dieser Ort gesegnet war. Die Tempelanlage der Mondpriester war einer der heiligsten Plätze der Lichtalben. Frater Kasimir konnte die Wärme und den Frieden, der von dem Mondtempel ausging, spüren, während er sich ihm näherte. Von tiefster Entspannung erfüllt schloss der Frater seine scharzen Augen und genoss die Strahlen Orils auf dem Gesicht. Sein Greif kannte den Weg und so konnte er sich ganz einem Gebet widmen, in welchem er Oril für den sicheren Flug dankte. Der Greif änderte seine Bewegungen, als er zur Landung ansetzte und ein sanfter Ruck ging durch seinen Körper. Frater Kasimir hatte sein Gebet beendet und stieg aus dem Sattel. Der Greif, ein Tier von weißer Grundfarbe mit grauer Wolkung und kurzem, breiten Schnabel, wartete brav, während er ihm die schweren Satteltaschen abnahm.
»Ah, wir haben Euch schon erwartet«, grüßte ein Mondpriester, der sich aus dem Tempel näherte. Im Gegensatz zu dem Greifenreiter trag er keinerlei Rüstung, sondern nur Stoffkleidung. »Ich bin Pater Szandor. Mit wem habe ich die Ehre?«
»Frater Kasimir, Hochwürden. Priesterlicher Kurier der Lichtreiter.« Kasimir nahm die Kapuze ab und neigte demütigt das Haupt, während er sich vorstellte. »Ich bringe Dokumente und Nachweise, zahlreiche Briefe und die gewüschte Literatur für Seine Eminenz.«
»Vielen Dank, bitte tragt die Dinge zum Verwaltungsgebäude. Ihr kennt den Weg?«
»Ich war schon einige Male hier.«
»Hervorragend. Ich werde sogleich einen Novizen schicken, der sich um Euren Greif kümmert und Euch eine kleine Erfrischung serviert.«
Kasimir brachte all die Briefe und Schriftrollen an ihren Bestimmungsort, wo man sie nach einer kurzen Überprüfung einsortierte oder zur weiteren Verteilung bereitmachte. Anschließend führte man den Lichtreiter in ein Gastquartier, wo er sich erfrischte, saubere Kleidung anlegte, die nicht nach Greif roch, über der er das rituelle Kettengewand der Lichtreiter und seine reich bestickte ärmellose Robe trug, mit dem Gürtel zusammengerafft, der ihn stets daran erinnern sollte, dass er ein Diener war. Er nahm eine kleine Mahlzeit aus einfachen Speisen zu sich, betete und legte sich auf die ungepolsterte Pritsche. Durch die großen Glasfenster schickte Oril goldene Vorhänge aus Licht zu ihm hinein. Das Zimmer war kühl, Kasimir vom Flug durchgefroren und auch das Wasser in der Waschschüssel kalt gewesen, so dass er seinen Trotz gegenüber physischen Empfindungen nun doch ein wenig beiseiteschob und sich in eine dünne Wolldecke hüllte, ehe er die Augen schloss. Man musste es ja nicht handhaben wie die etwas übereifrigen Brüder im Dienste des Infiniatus, die sich selbst fast zu Tode geißelten. Ein gutes Maß an Demut war für einen gewöhnlichen Mönch wie ihn vollkommen ausreichend, um ein tugendhaftes Leben zu führen. Frater Kasimir schlummerte bald ein.