Lysa liess sich nicht so schnell abwimmeln – sie wollte Antworten auf ihre Fragen!
„Elementarmagierin?“, das Mädchen hielt inne. Sie wusste sehr wohl, was die Elemente waren und sie schlussfolgerte daraus, dass es offensichtlich Menschen geben musste, die das Feuer, den Wind und die Erde formen konnten, so wie sie das Wasser.
„Aber was tut eine Necotante? Bist du eine Hexe? Die Kinder in unserem Dorf haben mich immer als Hexe beschimpft… doch wenn du sagst, dass ich eine Elementarmagierin bin, kann ich keine Hexe sein… oder?“ Hoffnungsvoll blickten die blauen Kulleraugen zu der Albin auf.
„Kann man irgendwo lernen, wie man Magie macht? Gibt es eine Schule? Ich habe in der Schule angefangen lesen zu lernen. Aber wir sind geflüchtet und darum kann ich noch nicht alle Buchstaben. Bringst du mir das Schreiben bei? Ich kann bereits meinen Namen und Mamma schreiben!“
Lysa Gedanken huschten von einem Thema zum Nächsten. Voller Elan zeichnete sie nun mit ihrem Finger Buchstaben in den Schnee.
Erst Artoks Frage nach ihrer Mamma brachte sie für einen Moment zum Schweigen. Das Mädchen zuckte mit den Schultern.
„Es ist ganz verschieden. Aber wenn sie sich ver…wenn sie jagen geht, dann ist sie meistens länger unterwegs. Aber das ist nicht schlimm. Sie bringt dann immer etwas Leckeres mit zurück!“
Beinahe hätte Lysa sich verplappert. Ihre Mamma würde mit ihr schimpfen, wenn sie ihr Geheimnis verraten würde. Rósa vertraute der Fremden nicht, auch wenn ihre Tochter die Frau bereits in ihr unschuldiges Kinderherz geschlossen hatte.
Das Mädchen gähnte müde und man konnte erkennen, dass ihr die Augen beinahe von selbst zufielen.
„Wir müssen schlafen. Mamma will morgen bestimmt früh losgehen“, murmelte Lysa, während sie sich gleichzeitig in ihren Mantel kuschelte und sich an der Glut des Feuers wärmte. Innerhalb weniger Minuten war sie eingeschlafen.
Rósa fühlte sich wie neu geboren. Nachdem sie die ganze Nacht in Eisbärengestalt durch den Wald wanderte, war ihr Körper nun angenehm entspannt und locker. Sie hatte mit ihrer guten Nase den Geruch eines Rentiers gewittert, das erst vor kurzem erlegt wurde. Drei Wölfe hatten sich an dem Fleisch gütlich getan, als die Eisbärin eintraf. Nachdem der erste wagemutige Wolf einen Prankenhieb abbekommen hatte, waren die restlichen ebenfalls geflohen.
Als sie ihren Bauch vollgeschlagen hatte, liess sie die Wölfe wieder an ihre Beute heran und machte sich weiter daran, durch den Wald zu wandern.
Auf der Jagd erwischte sie einen Schneehasen, den sie jedoch nicht frass, sondern zum Lager bringen wollte. Es war bereits früher Morgen, als sie ihren Kleiderhaufen erreichte, den sie unter einem Gestrüpp versteckt hielt. Nach der Wandlung schlüpfte sie so schnell als möglich in die wärmende Leder- und Pelzkleidung. Dann schnappte sie sich den Hasen und stapfte durch den Schnee zurück zu ihren Gefährten.
Die Frau fühlte sich entspannt und war nicht mehr gereizt. Ausserdem freute sie sich auf ihre Tochter, die sie bereits vermisste. Und sie war neugierig darauf, ob Artok den Schwall an Fragen von Lysa gut überstanden hatte. Denn Rósa war sich natürlich bewusst, dass sich die Kleine trotz ihrer Worte nicht hatte im Zaum halte können. So war ihre Tochter nun eben einmal.
So schritt Rósa guten Mutes und mit einem Lächeln auf den Lippen auf die Stelle zu, wo sie die beiden zurückgelassen hatte, den Schneehasen an den Ohren im Schlepptau.