Während Pavo in großväterlicher Manier dem Jungspund die Leviten las, nickte Distel eifrig, während Enzian in einer Mischung aus Genervtheit und Langeweile die Wände betrachtete. Der kleine Ponycentaur drängelte sich auch sofort vor, als es ums Reiten ging, damit Enzian seinen schlechten Einfluss nicht weiter auf den Burschen ausüben konnte. An dem stolzen Krieger blieb es hingegen hängen, den tattrigen Greis zu transportieren. Er fügte sich in sein Schicksal, legte sich nieder wie ein Kamel, damit der Heiler aufsteigen konnte und erhob sich dann vorsichtig. Bei Leuten mit Gelenkproblemen oder starken Schmerzen durfte er nicht traben. So ging er in gleichmäßigen, fließenden Bewegungen, aber doch recht zügig, um die anderen beiden einzuholen. Er sah gerade noch, wie Distel vergnügt buckelnd mit Anwolf auf dem Rücken in Richtung Zentrum galoppierte, während er ihm eine lange Nase zeigte. Er wollte ein Rennen. Schön, konnte er haben.
"Halt dich fest, Großväterchen. Jetzt zeig ich dir, wie man in Rakshanistan reitet. Wenn dir irgendwas weh tut, sag Bescheid."
Damit startete er durch und preschte die Straße hinab. Den Schmerz in seinem Huf ignorierte er, als Krieger war er ganz anderes gewohnt. Bis auf sein Humpeln hatte er keine Probleme und war nur wenig langsamer als sonst. Das Gewicht des Goblins spürte er kaum. Sie bogen von der Seitengasse in die belebte Hauptstraße ein, wo Enzian mit einem Kriegsschrei auf die Hinterbeine stieg, um sich einen Überblick zu verschaffen und Distel und Anwolf in dem Getümmel zu finden.
"TOD UND CHAOS!", brüllte er und schlug mit den Vorderbeinen in die Luft.
Die Zweibeiner wichen erschrocken zurück. Anwolf und Distel flitzten derweile rasch in die schmalste Gasse, die sie finden konnten. Ein paar Hühner stiegen Gackernd empor auf die Marktbuden und der Verkäufer fluchte. Dank Enzians Kampfschrei hatten sie plötzlich sehr viel Platz und so konnten ohne fleischliche Hindernisse in ihrem Weg die Verfolgung aufnehmen.
Distel und Anwolf sprangen über Kisten und Körbe, an dem Jüngling blieb eine vollbeladene Wäscheleine hängen, die nun samt Wäsche meterweit hinter ihnen herschliff. Und doch waren sie zu langsam. Hinter sich hörte Distel Enzians donnernde Hufe.
"Jetzt bescheißen wir, pass auf!", meinte Distel verschmitzt und hopste leichtfüßig auf ein Mäuerchen, trabte es entlang und sprang dann wie eine Ziege über ein paar Dächer. Ein größerer Centaur als er konnte das niemals bewerkstelligen, so was schafften nur Ponycentauren. Auf der Rückseite stieg er über ein paar Kisten wieder hinab und preschte über den Viehmarkt auf der anderen Seite der Häuserzeile. Ein paar junge Pferde rissen sich los und folgten ihnen, zusammen mit den wütenden Besitzern.
Enzian grunzte missmutig. "Das ist zu hoch für mich. Wir nehmen einen Umweg." Sie galoppierten um die Häuser herum und sahen schließlich eine kleine Pferdeherde über den Markt in Richtung Felder preschen. "Oha, nicht gut. Das wird teuer. Festhalten!" Enzian beschleunigte zum gestreckten Galopp und preschte wie der Leibhaftige über den Markt. Es gelang ihm, die jungen Pferde zu überholen und in Richtung ihrer Besitzer zurückzutreiben. Bis dahin waren Distel und Anwolf natürlich über alle Berge. Er ging noch einmal auf die Hinterbeine, doch er konnte sie nirgends mehr entdecken. Der Opa war sicher auch langsam erschöpft. Also ging er im gemütlichen Schrittempo noch eine Runde mit ihm spazieren, sie genossen den Ausblick auf den Feuerlöschteich, auf dem Seerosen blühten und ein Schwanenpaar seine Runden drehte, klaute ein paar Äpfel von einem Baum, die er im Gehen verzehrte (Pavo bekam auch einen gereicht) und brachte den alten Heiler sicher wieder nach Hause. In der Ferne hörte er, wie die Büttel mit aufgeregten Rufen begrüßt wurden. Nun, sie kamen zu spät. Weder Distel noch Enzian befanden sich mit ihren Reitern noch auf dem Markt.
Distel war erschöpft. Anwolf war zwar zierlich gebaut, wie die meisten jungen Menschenburschen, doch für den kleinen Ponycentauren war er dennoch sehr schwer. Langsam tat ihm der Rücken weh. So kehrte auch Distel mit seinem Reiter zum Geisterhaus zurück. Der ganze Innenhof stank penetrant nach Pferdeschweiß und sogar Distel, der das gewohnt war, rümpfte die Nase. Enzian war klatschnass geschwitzt und lümmelte vor sich hinstinkend auf einer Wiese im Schatten herum, döste und kaute Gras. Auch Distel selbst stank zum Himmel, wie er nach einer Geruchsprobe unter seinen Achseln feststellte. So wälzte er sich auf der Wiese, um den Schweiß abzureiben und sich mit dem Duft von Gras und Erde zu parfümieren. Jetzt sah er noch struppiger und schmutziger aus als vorher. Er legte sich neben Enzian ins Gras und speiste die saftigen Halme. Sein Kumpel rollte ihm noch einen Apfel herüber, den Distel zufrieden schnurpste. Eigentlich war heute ein schöner Tag. Etwas anstrengend, aber lustig.
"Und, wie war es?", fragte er grinsend an Anwolf und Pavo gewandt, während er kaute und dann an Pavo gerichtet: "Hat der Gestreifte dich ordentlich behandelt oder hat er wieder gezankt?"
"Hab ihn zwei Mal abgeworfen und ihm nen Haufen auf den Kopf gesetzt", erwiderte Enzian.