Timothée Mauchelin
Die Einladung zu Duc Maximilien kam Timothèe ungelegen. Er bereitete gerade seine Abreise nach Obenza vor und war mitten beim Packen, als der Eilbote ihm den Brief zustellte. Timothèe unterbrach seine Arbeit, wusch sich an der Waschschüssel und zog frische Kleider an, ehe er sich zu Fuß auf den Weg machte. Es war nicht weit von seinem Haus bis zum Palast. Er hätte auch eine Kutsche bestellen können, aber der Winter ließ heute schon den Frühling durchscheinen. 12°C zeigte das Thermometer und die Sonne lockte die ersten Frühinsekten hervor. An solch einem Tag genoss er den Spaziergang, der ihn zu Duc Maximilien brachte. Im schattigen Flur des Palasts war es kühler als draußen. Auf weichen, lautlosen Sohlen ging er zum Thronsaal, wo er die Gardisten bat, für ihn zu klopfen.
Maximilien Rivenet de Souvagne
Einer der beiden Gardisten unmittelbar an der Tür klopfte. Einen Augenblick später wurde von drinnen die Tür geöffnet und Timo wurde von einem weiteren Gardisten per Handzeichen hineingebeten. Nach dem er den Thronsaal betreten hatte, bezogen von innen zwei der Gardisten direkt vor der Tür Stellung und verschlossen diese. Ein aufforderndes Nicken Richtung Thron wies Timo den Weg. Maximilien musterte mit blasser nicht deutbarer, ernster Miene Timo.
Timothée Mauchelin
Man hörte seine Schritte überhaupt nicht, als er über den Teppich ging. Um die Mode klappernder Absätze hatte er seit jeher einen Bogen gemacht. Timothèe näherte sich bis auf die korrekte Entfernung und verneigte sich. »Majestät, Ihr habt mich rufen lassen?«
Maximilien Rivenet de Souvagne
Der Blick des Duc bohrte sich in den von Timothee´s. Er schaute ihn nicht einfach nur an, er schien ihn förmlich mit dem Blick zu sezieren. Hier stand er nun, der vermeintliche Hochverräter. War er ein Berzan oder Mercer? Angeklagt für andere Personen? War der derjenige, auf den die Finger deuteten um von sich selbst abzulenken? Oder war er ein Corentin? Einer jeder Hochverräter, der überall seine Finger mit im Spiel hatte und so die Fäden zog. Wobei möglicherweise war er ebenso jemand, der sogar für das Fädenziehen weitere Marionetten hatte. Es würde sich erweisen. Auf die eine oder andere Art mussten sie an die Wahrheit gelangen, sonst waren sie möglicherweise dem Untergang geweiht. Timo konnte man nicht auslesen, aber man konnte ihm ebenso ein Wahrheitsserum verabreichen oder ihn foltern. Die Möglichkeit bestand bei jedem. Zudem konnten einige seiner Familie ausgelesen werden. Sprach er nicht selbst, musste man ihn zum sprechen bringen. »Das ist korrekt, wir haben Euch rufen lassen. Aber vielleicht habt Ihr selbst das Bedürfnis uns etwas mitzuteilen. Wir hatten letztens Euch betreffend aufschlussreichen Besuch, Euer Sohn war hier und wir haben uns angeregt über das eine oder andere Familienleben unterhalten«, sagte Max.
Timothée Mauchelin
»Oh, Euch ist also aufgefallen, dass mein Junge bei der Leibgarde dient.« Timothèe lächelte ein wenig. »Ich habe ihn leider selbst lange nicht privat gesehen. Ja, wir hatten in der Vergangenheit einige Differenzen, was ich bedauere. Ich nehme also an, dass er Euch um Schlichtung gebeten hat?«
Maximilien Rivenet de Souvagne
»An einer Schlichtung war ihm durchaus gelegen. Wobei wir davon ausgehen, dass sich Moritz ein friedvolles Leben wünscht. Ist sein Leben durch all die Aufträge und Ränke nicht schon kompliziert genug? Eine Scheinidentiät, in einer Scheinwelt, die wiederum eine Scheinwelt ist. Letztendlich ist er daran zerbrochen, jedenfalls fast. Wie lautet Euer realer Name?«, fragte der Duc rundheraus.
Timothée Mauchelin
Timothèe hob nun den Blick, so weit, wie gerade noch angemessen war und betrachtete im obersten Rand seines Blickfelds die Mimik des Ducs. Je höher der Adel umso schwieriger war eine Deutung. Das einzige, was Timothèe lesen konnte, war, dass Maximiliens Gesicht noch steinerner war als sonst. Die Abstände, in denen er blinzelte, waren erhöht zu sonst und der Atem ein wenig beschleunigt. Dergleichen bemerkte man jedoch nur, wenn man professionell darauf geschult worden war. Und die Information besagte lediglich, dass Maximilien gerade unter einer Form von innerem Stress stand. »Mein realer Name ist Velasco Macault. Ein Leben unter einem ewigen Deckmantel ist das Schicksal eines jeden von unserer Zunft. Nicht jeder ist dafür geschaffen, dem standzuhalten. Bat er um einen Wechsel seines Arbeitsplatzes oder gar den Austritt aus unserem Orden?«
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»Euer Name ist nicht Velasco Macault, Euer Name ist von Wigberg, Euer Sohn heißt Moritz von Wigberg. Demzufolge gehört Ihr einer uralten Sippe von Meuchelmördern, Spionen und Halsabschneidern an. Solange Ihr offen mit diesem Erbe umgeht, ist daran nichts auszusetzen. Die Frage ist jedoch, weshalb Ihr den Orden des stählernen Lotos als Euren Deckmantel benutzt. Die Logik gebietet es, davon auszugehen, dass Ihr alles über Souvagne in Erfahrung bringen wollt. Und da wäre diese Form von Orden ideal, ebenso wie das Militär. Ein Hohenfelde bei Hofe, ein Wigberg samt seinem Orden, also was bezweckt Ihr? Das Ihr uns nicht wohlgesonnen seid, ist selbstverständlich. Ansonsten hättet Ihr Euch nicht vor uns verbergen müssen. Direkt vor unserer Nase, in der Höhle des Löwen, dreist aber effektiv. Aber wie Ihr seht, nicht effektiv genug. Wir haben Euch einbestellt um Schadensbegrenzung zu betreiben, für uns und für Euch. Also wir fragen erneut, wer seid Ihr«, sagte Max bedrohlich ruhig.
Timothée Mauchelin
Timothèe verspürte den Drang, Moritz grün und blau zu schlagen. Dieser dumme, dumme Narr. »Habt Ihr meinen Sohn gefoltert, damit er dies von sich gibt? Lebt er überhaupt noch? Gut, Ihr habt also die unterste aller Masken von ihm gerissen. Darob anzunehmen, dass wir Euch schaden wollten, nur weil Ihr diesen Namen bisher nicht kanntet, ist eine zu affektive Schlussfolgerung und entsprechend nicht korrekt. Er wie ich haben Euch all die Jahre so treu wie effizient gedient. Dass die Hohenfeldes Naridien ebenso verlassen würden wie unser Zweig war nicht abzusehen. Aber dass uns daran gelegen ist, gegenüber ihnen hier anonym zu bleiben, ist vielleicht nachvollziehbar wenn man sich mit der Historie dieser Familie beschäftigt. Ich nehme an, dass Ihr das getan habt, bevor Ihr Linhard Verrill versprochen habt.«
Maximilien Rivenet de Souvagne
»Natürlich das ist eine Pflicht die uns als Vater gut zu Gesicht stand. Aber Ihr übt Euch in unnötiger Bescheidenheit. Weshalb solltet Ihr Euch vor Eurer eigenen Sippe versteckt halten? Laut unseren Informationen arbeitet Eure Sippe, eben jene Familien Hohenfelde, Wigberg und Eibenberg Hand in Hand. Jene Familien gingen den Bund zur Sippe ein und dieses Bündnis wird heute noch zelebriert, indem sich die Sippenmitglieder mit den Kürzeln ihrer Gründerväter begrüßen. Dun-Haru-Mar, so wird sich in dieser Sippe begrüßt. Ist Euch dies etwa entfallen? Wären die Wigbergs und die Hohenfelde getrennte Leute, dann könnten wir Euer Versteckspiel nachvollziehen. Niemand wünscht sich einen rachsüchtigen Familienzweig auf den eigenen Fersen, vor allem wenn es sich um Assassinen handelt. Aber Euch ist niemand auf den Fersen. Euer Verwandter Wolfram von Wigberg lebt hier ebenso unbescholten, wie andere Hohenfeldes und Eibenberg. Also verkauft uns diese Scharade nicht, als Dienst an der Krone. Ferner habt Ihr immer noch nicht Euren vollständigen Namen genannt. Ihr solltet damit beginnen die Wahrheit zu sprechen Timothee´, sagte Max schlicht.
Timothée Mauchelin
»Mein Name ist Vendelin von Wigberg«, sprach Timothèe. Man hörte ihm nicht an, wie schwer es ihm fiel, diesen Namen über die Lippen zu bringen. Für ihn war es ein Gefühl, als würde er hier mitten im Thronsaal die Hosen samt Unterhosen herunterlassen müssen. »Dass unsere Familien bisweilen kooperieren, bedeutet nicht, dass nicht gelegentlich der eine oder andere durch die Hand eines Verwandten fällt. Wir sind die Absicherung, der doppelte Boden der Freiherren von Wigberg. Und ich wäre Euch sehr verbunden gewesen, hättet Ihr dies mit mir unter vier Augen besprochen und nicht vor derart vielen. Dass Wolfram hier offen einherwandelt, ist seine eigene Schuld, doch ich werde ihn sicher nicht daran hindern.«
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»Die Leibgarde genießt unser vollstes Vertrauen, Ihr hingegen nicht. Macht Euch doch nicht lächerlich Vendelin. Wir hätten Euch unter vier Augen ansprechen sollen? Für wen haltet Ihr Euch? Es wäre Eure Pflicht gewesen uns über Eure wahre Natur in Kenntnis zu setzen. Verdreht hier nicht die Tatsachen. Ihr seid also der Bastardzweig, falls die Hauptlinie ausstirbt. Interessante Sichtweise, allerdings fehlt in Eurem Puzzle ein großes Stück. Das Eure Familie einen stillen Zweig schuf, um zur Not abgesichert zu sein und nicht auszusterben, können wir nachvollziehen. Dass Ihr Euch verbergt, um nicht bei einer Blutfehde getilgt zu werden, verstehen wir ebenso. Nun füllt die Lücke und reicht uns die Puzzlestücke. Weshalb verbergt Ihr Euch in Souvagne? Und weshalb habt Ihr diesen Orden gegründet? Möchtet Ihr Euch eventuell auf dem souvagnischen Thron verstecken?«, hakte Max nach mit einer Stimme wie geschliffener Stahl.
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Vendelin setzte ein amüsiertes Gesicht auf. Dabei schüttelte er den Kopf. »Nein, Majestät. Ich habe diesen Orden nicht gegründet, Ihr überschätzt meinen Einfluss. Den Orden des Stählernen Lotos verdankt Souvagne Eurem werten Herrn Vater. Ein Thron ist kein gutes Versteck. Es liegt nicht in der Natur meiner Familie, sich auf dem Präsentierteller anzubieten. Es geht und ging uns sehr gut unter Eurer Regentschaft. Warum sich selbst die Bürde der Krone auferlegen?«
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»Aus dem gleichen Grund, weshalb es jeder mit Machthunger versucht und weshalb Regenten sie selbst festhalten, Macht. Nun Ihr wolltet uns also nicht schaden, Ihr habt Euch im Orden nur vor Euren Verwandten versteckt und Euren Namen habt Ihr zum Schutze Eurer Familie verschwiegen. Haben wir dies so zu verstehen? Das können wir kaum glauben«, sagte Max.
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»Machthunger um der Macht selbst willen ist eher das Metier der von Hohenfeldes«, sprach Vendelin freundlich. »Die offenen Kämpfe mit dem Degen, in welchen sie sich gegenseitig ebenso abschlachten wie andere, überlassen wir gern ihnen. Ein Wigberg sucht die Macht, um sich und seine Blutlinie abzusichern - um andere vorzuschicken, damit deren Söhne bluten, während die eigenen in Sicherheit leben. Wir machen uns nicht gern die Hände schmutzig, sondern bleiben lieber in der zweiten Reihe. Wir sind die Marionettenspieler unserer Sippe. Übertrieben gesprochen: Warum sollten wir uns offen mit anderen Nationen herumstreiten, mit Feinden der Krone, den ewigen Nörglern, den Intrigen bei Hofe und der ständigen Furcht vor einem Attentat, wenn Ihr all das doch für uns erledigen könnt?« Er lächelte. »Ihr regiert, während wir unser unkompliziertes, sicheres Leben in Eurem Schatten genießen. Und wir schützen Euch natürlich, damit es so bleibt. Nun, wo Ihr wisst, woran Ihr an mir seid, wie verbleiben wir? Ich würde zudem gern erfahren, was mit meinem Jungen geschehen ist.«
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»Wir verbleiben so, dass wir Eure Ausage überprüfen lassen werden. So wie Ihr es beschreibt, könnten wir froh und dankbar sein, dass Ihr Euch bei uns versteckt habt. Seltsamerweise hat dies einen äußerst üblen Nachgeschmack. Wisst Ihr, auch Corentin diente der Krone, auf seine verdrehte Art und Weise. Nur starben dabei mein Vater und mein Bruder. Wir haben keinerlei Bedarf daran, dass ich die Geschichte wiederholt. Gleichgültig für wen aus unserer hoheitlichen Familie. Und wir haben auch nicht vor uns für Euch als Marionette zu betätigen. Euer Sohn ist sicher verwahrt in einer geschlossenen Tempeleinrichtung, sein Geisteszustand war nicht stabil«, antwortete der Duc.
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»Nein, das war Moritz ganz sicher nicht, denn ansonsten hätte er geschwiegen.« Vendelin musterte den Duc. »Darf er Besuch empfangen? Corentin la Caille ist meiner Familie natürlich ein Begriff, ja.« Danach schwieg Vendelin und wartete.
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»Nein Euer Sohn darf keinen Besuch von Bekannten empfangen. Er soll sich ganz auf sich selbst besinnen, mit drei Persönlichkeiten ist dies wahrlich schwer genug. Ihr weckt unsere Neugier, weshalb ist Euch ein Hochverräter ein Begriff? Und redet Euch nicht mit Eurer Arbeit im Orden heraus. Die meisten werden ihn nur als Quennel oder Quennel Perreault gekannt haben. Ihr wisst worum es hier letztendlich geht oder?«, fragte Max und lehnte sich im Thron zurück.
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»Sicher, es geht um das Leben meines Sohnes und das meine. Natürlich wirke ich nach außen ruhig, was würde es bringen, nun auf Knien unter Tränen vor Eurem Thron herumzurutschen, außer Eure Nerven zu strapazieren?« Timothèe merkte, dass er einen Fehler gemacht hatte, einzuräumen, Quennel unter dessen bürgerlichen Namen zu kennen. Es verkomplizierte die Dinge. Doch nun zurückzurudern brachte nichts. »Mein Vater war einer der Ersten des Ordens. Wenzel von Wigberg, im Orden bekannt unter dem Namen Soel Macault. Er arbeitete eng mit Corentin aka Quennel zusammen.«
Maximilien Rivenet de Souvagne
»Das Leben Eures Sohnes ist nicht in Gefahr. Jemanden der schon am Boden liegt zu zertreten ist keine Kunst. Zudem würden wir Euren Sohn zum Tode verurteilen, sterben zwei Personen mit ihm und zwar Pascal und Patrice. Es sind unschuldige Seelen, keine von beiden hat den Tod verdient. Und auch Moritz hat es nicht verdient zu sterben. Tränen würden Euch nicht helfen, vor allem nicht, wenn diese nur ein Schauspiel sind. Theatertränen sahen wir zu oft im Thronsaal, öfter noch als im Theater selbst. Was Euch gut zu Gesicht stehen würde ist die Wahrheit. Wie Ihr Euch sicher denken könnt, hat eine Person wie die unsere nichts für Lügen, Heuchelein oder anderes korrumpierendes Verhalten uns gegenüber übrig. Wir haben zu lange über unsere Schulter schauen müssen, aber wir haben dennoch nie vergessen, dass ein Dolch auch von vorne kommen kann. Das Ihr zugebt, Corentin zu kennen ist ein guter Anfang. Euer Vater kannte ihn, nungut. Unter welchen Bedingungen, wir hören«, sagte Max etwas umgänglicher.
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»Euer Vater gründete den Orden des Stählernen Lotos auf Anraten seiner Frau, der von Euch wegen Hochverrats hingerichteten Duchesse Francoise Esme de Souvagne. Damals jedoch war sie noch keine Hochverräterin. Sie hatte zwei Geliebte, sicher, aber an ihren Händen klebte zu dieser Zeit noch kein Blut. Die Agenten der Autarkie ermittelten dennoch gegen sie. Allen voran Mercer Desnoyer in seinem grenzenlosen, fast schon fanatischen Ehrgeiz. Er hatte sich in den Fall verbissen wie ein Terrier und nichts konnte ihn davon abbringen, nicht einmal mehrere eindeutige Warnungen. Tatsächlich versuchte Parcival zunächst, ihn durch das Legen falscher Fährten und später durch anonyme Drohungen loszuwerden. Doch so gut Parcival als Himmelsauge war, Mercers Entschlossenheit hatte er nichts entgegenzusetzen. Das Himmelsauge Corentin wurde daher bei den Agenten eingeschleust, um herauszufinden, was sie wirklich wussten. Doch Corentin war nicht der Einzige. Sowohl Parcival als auch Corentin waren die Geliebten der Duchesse. Die Duchesse ihrerseits traute keinem von beiden wirklich über den Weg. Sie verdächtigte sie, sie absichtlich hinzuhalten, denn anders war es für sie nicht zu erklären, warum sie Mercer nicht loswurden und auch nicht an seine Pläne herankamen. Für sie sah das nach Sabotage aus. Und an dem Punkt kam mein Vater ins Spiel. Wenzel war ein Antimagier, so wie auch Moritz einer ist. Für die Himmelsaugen war er daher das geeignete Gegengewicht. Keiner ihrer beiden Geliebten hatte Zugriff auf seine Gedanken. Wenzel hatte jedoch noch eine weitere Stärke, die Corentin völlig fehlte und verhinderte, dass er in die Pläne eingeweiht wurde - die Fähigkeit, in die Herzen der Menschen zu blicken und sie für sich zu gewinnen, ganz ohne Magie. Empathie nennt man diese Kraft. Und damit gelang ihm, was Corentin nie gelungen war, er kam über Berzan Bovier, der ein sehr schwieriger Mensch war und Corentin hatte auflaufen lassen wie ein Eisberg, an die Pläne von Mercer Desnoyer heran. Als einer der ganz wenigen, selbst unter den Agenten der Autarkie, wusste mein Vater somit von dem durch Mercer und Berzan geplanten Putschversuch. Und er informierte Duchesse Francoise Esme de Souvagne. Wenzel von Wigberg war es, der den Untergang der Agenten besiegelte.«
Maximilien Rivenet de Souvagne
Maximilien hörte Vendelin aufmerksam zu. Aus jener Zeit zu hören, stimmte ihn immer neugierig und melancholisch zugleich. »Handelte Wenzel für die Duchesse oder für die Himmelsaugen? Wusste er um den Verrat der Duchesse? Oder hielt er die Agenten für Verräter? War er ein Geliebter der Duchesse, so wie Parcival und Corentin oder wie stand er zu dem Trio? Bildete es ein Quartett? Die Söhne von Berzan und Mercer sind nicht minder bissfest, das scheint in der Familie zu liegen. Allerdings schützt Boldiszar so vehement unser Leben, wobei dies sein Vater ebenfalls versucht hatte. Weshalb der Putsch?«, fragte Max.
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»Ich war noch ein Kind, als mein Vater starb und kenne daher nur oberflächliche Informationen. Dies ist keine Ausrede. Er starb 168 gemeinsam mit jenen, die er ans Messer geliefert hatte. Ich war damals 12 Jahre, noch nicht einmal volljährig. Ordensoberhaupt war zu dieser Zeit Janou Langeron. Es ist daher anzunehmen, dass Wenzel schlichtweg für Janou arbeitete. Die Frage wäre also eher: Für wen arbeitete der Orden des Stählernen Lotos? Ins Leben gerufen wurde er dereinst auf Geheiß Eurer Mutter. Theoretisch diente der Orden dem Duc. Praktisch tut er das, seit ich ihn leite.« Vendelin verneigte sich mit einer eleganten Handbewegung. Dann fuhr er fort. »Der geplante Putsch war letztlich die Reaktion eines in die Ecke getriebenen Angstbeißers. Mercer war nicht minder fanatisch als sein Sohn, denkt an die geplante Abgrundfahrt der Choucas, kollektiver Massenselbstmord, um möglichst viele Farisin mit sich zu reißen. Kaum anders wird es in Mercers Verstand ausgesehen haben nach all den Drohungen. Nur, dass er vielleicht ein wenig raffinierter vorging als sein Sohn, aber er hatte auch nicht eine derart zerstörerische Kindheit durchlebt. Ohne die Arbeit von Corentin und Wenzel wären die Agenten erfolgreich gewesen. Dann säße nun Mercer auf Eurem Thron.«
Maximilien Rivenet de Souvagne
»Das wäre eine der Möglichkeiten, ebenso könnte unser Bruder auf dem Thron Souvagnes sitzen. Aber Bernard Pomeroy de Souvagne ist ebenso tot wie Mercer Desnoyer. Was die Verbissenheit und den Fanatismus von Mercer und Delancy angeht, vermuten wir beide stehen sich in nichts nach. Gleich wer wir sind, niemand kann seine Wurzel verleugnen. Wir sind alle Kinder unserer Eltern, hier gibt es keine Wahl. Dies ist Ainuwars Entscheidung, ebenso haben wir keine Wahl, welche Gaben wir von unseren Eltern mitbekommen. Aber wie wir diese Gaben anwenden, darüber gebieten wir. Unser Halbbruder handelt nicht wie Corentin und unsere Person handelt gewiss nicht wie die alte Duchesse. Angst vermag zu vielem zu verleiten, Verzweifelung ebenso. Ihr gebt freimütig zu, das der Orden von einer Hochverräterin gegründet wurde, dass dieser gedient wurde, dass sie sich mit weiteren Hochverrätern verbündete und das Euer Vorfahre diesen zuarbeitete. Nennt uns einen Grund nicht einfach aufzustehen und diesen Kopfschmerz zu beenden, indem wir eine Grundreinigung befehlen«, sagte Max und seine Stimme klang für einen Moment uralt und müde.
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Nun erstmals sah man Vendelin an, dass er nervös war. Er konnte nicht verhindern, dass ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich. »Sind 34 Jahre treuer Dienst kein ausreichender Grund?«, fragte er leise und langsam. »Gewiss, ich habe meine Abstammung verschwiegen. Aber ist das ein ausreichender Grund, jemanden dem Henker zu überantworten? Ich bin nicht mein Vater, Majestät, so wenig wie Ihr Eure Mutter seid. Das habt Ihr doch selbst gerade festgestellt. Wir sind nicht unsere Eltern.«
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»Das unsere Person nicht leichtfertig über das Leben ihrer Untertanen entscheidet seht Ihr daran, dass wir Konversation betreiben und alle im Orden des stählernen Lotos noch wohlauf sind und atmen. Bereits am gestrigen Tage als uns diese obskure Information erreichte, hätten wir mit aller Härte handeln können. Die Macht dazu haben wir, dies steht außer Frage. Aber genau aus diesem Grund muss mit aller Sorgfalt abgewogen werden, wer den Tod verdient und wer das Leben. Zwei weise junge Männer erinnerten uns gestern daran, dass jeder in diesem Orden nicht nur ein stählerner Lotos ist, sondern auch Souvagner. Wärt Ihr des Hochverrates schuldig, muss es nicht einer Eurer Ordensbrüder sein, Ihr hättet sie genauso wie uns täuschen können. Und würden diese Souvagner dann nicht den Schutz der Krone verdienen und sich zu Recht nach diesem sehnen? Aber so gütig und milde wir auch stets für unser Volk zu handeln gedenken, es ist uns nicht immer möglich. Bei Gefahr im Verzug, haben wir zu handeln, notfalls mit aller Härte des Gesetzes. Wir sind das Gesetz, wir sind Souvagne. Und wo andere dann gerne ein Auge zudrücken, werden wir ein drittes öffnen. Zu Eurem Einwurf, wir erkennen 34 Jahre treuen Dienst an. Wir sehen auch, dass bis jetzt nachweislich Euer einziger Fehler, das Verschweigen Eurer Abstammung war. Bietet uns einen Lösungsvorschlag an um Eure Loyalität zu beweisen«, sagte Maximilien entgegenkommend.
Timothée Mauchelin
»Einen Beweis?« Vendelin überlegte lange. Natürlich hatte er einige Asse im Ärmel. Die Frage war, welches er ausspielen sollte. »Wissen ist eine Währung, die so machtvoll ist wie rollender Taler. Ich werde Euch Wissen offenbaren, das mich selbst belastet. Im Rahmen der Ermittlungsarbeiten gegen den Ring der Kinderschänder in Souvagne profitierte der Orden des Stählernen Lotos von den Verwüstungen in den nordwestlichen Lehen. Da auch Heime der Verwüstung anheim fielen, gab es Kinder, die wir verwenden konnten, ohne das selbst die Krone es hätte nachvollziehen können, was mit diesen Kindern geschah. Unter anderem fiel Waisenhaus Saint Aumery den Flammen zum Opfer. Die Kinder von dort dienten uns als Ware und Köder.«
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»Das ist kein Beweis Vendelin, dass ist erbärmlich. Nun Wissen ist Macht. Wir dachten ehr an ein Aufklärung. Wir verfügen auch ein klein wenig über diese Währung Lotos. Der Schlüssel zur Aufklärung oder dem Aufhalten der Agenten war ein Lotos unter dem Decknamen Pascal! Er unterwanderte die Agenten der Autarkie. Er belieferte die Himmelsaugen mit allen Informationen, die sie benötigten, damit sie die Agenten aufhalten und ausschlaten konnten. Jener Pascal ermittelte die Truppenzusammensetzung, die Bewaffnung, die bevorzugte Taktik, persönliche Stärken und Schwächen der einzelnen Mitglieder, ausführliche Persönlichkeitsprofile, Einsatzgebiete, Aufträge, Erfolgsquoten. Nicht alles davon leitete er weiter, nur das, was ausreichte, um den Himmelsaugen zum Sieg zu verhelfen. Es war eine der umfangreichsten Ermittlungsarbeiten aller Zeiten und eine der besten, es war eine Meisterleistung. Und es ist Pascal trotz seiner entscheidenden Position in dieser Angelegenheit gelungen, sich aus der offiziellen Geschichtsschreibung herauszuhalten, was gut zu ihm passt. Entscheidend ist, dass Pascal letztendlich der Sargnagel der Agenten der Autarkie war. Aus Sicht des Stählernen Lotos eine Meisterleistung. So gut, wie Pascal recherchiert hat, muss er gewusst haben, dass die Agenten unschuldig waren. Die Frage ist, warum er das Wissen nicht an den Duc weitertrug? Dafür gibt es mehrere mögliche Antworten. Hass auf die Agenten? Unwahrscheinlich, er war zu gut, um sich derart von seinen Emotionen steuern zu lassen. Eine Gegenleistung durch jene, die den Sturz der Agenten in Auftrag gab, ist sehr viel wahrscheinlicher - wir sind wieder bei der Duchesse. Und hier kommt die große Frage - auf welcher Seite stand eigentlich der Orden des Stählernen Lotos tatsächlich? Pascal Dein Vater leitete nicht alle Informationen weiter. Weshalb nicht? Wozu hielt er Informationen zurück? Diente er dem Duc oder der Duchesse? Oder diente er sich letztendlich selbst? Benne uns doch bitte die Dritte Macht«, bat Maximilien freundlich, während seine Augen blitzten.
Timothée Mauchelin
»Der sogenannte Pascal war natürlich mein Vater. Im Orden war er als Soel bekannt, aber natürlich durfte er unter diesem Namen nicht ermitteln. Dafür diente seine Identität Pascal Rouvallet. Was meinen Vater im Einzelnen bewog, weiß ich nicht, ich war erst zwölf!« Timothèe fühlte sich nun sichtlich unwohl. Man bemerkte es daran, dass seine Augen in Richtung Tür zuckten. Als er es bemerkte, schloss er sie kurz und als er sie wieder öffnete, blickte er wieder nach vorn. »Die dritte Macht ist niemand anderes als die Familie Wigberg. Wir sind die dritte Macht. Denkbar ist ... dass die Agenten herausgefunden hatten, wer Soel Macault wirklich ist. Meine Mutter wusste es und sie hat ihren Mann gern damit versucht zu erpressen, dass sie dieses Wissen weiterträgt. Möglich ist, dass sie es getan hat. So dass die Agenten letztlich auch starben, um den Deckmantel der Wigbergs zu schützen.«
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»Demzufolge haben Berzan und Mercer unbewusst in ein Wespennest gestochen. Einen Verrat aufgedeckt der Duchesse und Eure Familiengeheimnisse zeitgleich mit gelüftet. Die beiden lüfteten etwas zu viel, so dass sie selbst an die Luft gesetzt wurden. Man sollte ihnen posthum einen Orden für Fleiß verleihen. Mit 12 Jahren seid Ihr zwar nicht erwachsen gewesen aber auch kein unwissendes Kleinkind. An die Anekdote über Eure erpresserische Mutter erinnert Ihr Euch doch auch, aber nicht an Euren Vater. Ist das nicht... suspekt?«, fragte Max lauernd.
Timothée Mauchelin
»Mein Vater war ein vorsichtiger Mann, natürlich weihte er mich nicht in all seine Gedanken ein. Aber den Beziehungskrach bekam ich leider mit, er war ja auch laut genug«, murrte Vendelin.
Maximilien Rivenet de Souvagne
»In Ordnung, reden wir doch einmal über ein brandheißes Eisen, dem Brand dem Janou Langeron als Oberhaupt des stählernen Lotos zum Opfer fiel. Er starb eines unnatürlichen Todes, und zwar starb er durch einen Großbrand im Hauptquartier des Ordens. Janou wurde Oberhaupt des stählernen Lotos als Ihr 12 Jahre alt wart, noch nicht volljährig um selbst den Orden zu führen. Könnte es sein, dass Ihr Feuer und Flamme auf den Posten wart, als Ihr das Erwachsenen Alter erreicht hattet?«, hakte Max nach.
Timothée Mauchelin
»Bei dem Brand war ich nicht 12, sondern 35 Jahre alt. Er ereignete sich im Jahr 192 nach der Asche. Und Quell dieser Flammen war nicht ich, sondern ein anderer Lotos, der leider für seine Pyromanie bekannt ist, aber darüber hinaus gute Arbeit macht. Was wollt Ihr mir ankreiden?«, fragte Vendelin.
Maximilien Rivenet de Souvagne
»Lieber Vendelin, das sind sehr unflätige Worte von Dir. Wie kommst Du darauf, dass wir so etwas nötig hätten? Oder das wir zu so einer Boshaftigkeit im Stande wären? Hast Du uns eben nicht noch aus dem Brustton vollster Überzeugung gestanden kleine souvagnische Kinder als Menschenhandelsware missbraucht zu haben? Diese an Menschenfresser weitergereicht zu haben? Was glaubst Du lieber Vendelin haben jene Menschenfresser mit den Kindern gemacht? Wir wären nicht erbost, wären es unwerte Kreaturen wie Orks oder Naridier gewesen. Aber dies waren Souvagner Ven. Kinder denen schon alles genommen wurde, die nichts besaßen außer die Hoffnung, dass es eines Tages nach dem Heim etwas bergauf geht. Für all jene die nicht für sich selbst kämpfen können stehen unsere Streitmächte ein. Die Garde, das Heer, die Marine, neuerdings auch die Luftwaffe, die Büttel, die Orden - all jene sind für das Volk dar um es zu behüten und zu verteidigen. Wir sind der Duc von Souvagne und nicht von sonst einem Land. Es interessiert uns nicht, was Ihr anderen antut, solange Ihr Eure Aufgabe Eurem Volke gegenüber wahrt. Aber Vendelin, genau das hast Du nicht getan. Und von einem Menschenfresser zu einem Brandstifter ist es nicht weit, wenn man möglicherweise Geschmack auf Grillfleisch bekommt«, warf Max ein.
Timothée Mauchelin
»Stellen wir uns ein hypothetisches Szenario vor. Der ursprüngliche Befehl des Jahres 168 lautete - Stand Null. Die Agenten der Autarkie sind samt allen Verwandten mit Stumpf und Stiel auszulöschen. Und nur aufgrund der persönlichen Schwäche eines einzelnen Himmelsauges, welches den letzten Wunsch der Todgeweihten, ihre Kinder zu verschonen, ernst nahm, konnte dieser Befehl nicht umgesetzt werden. Wessen Wort aber wiegt schwerer, dass von Parcival oder das der Krone? Nehmen wir an, ich hätte den Auftrag gehabt, den ursprünglichen Befehl der Bereinigung bis zum Ende zu führen. Das, was die Himmelsaugen nicht vermochten - die Brut der Agenten mitsamt ihren Eltern zu beseitigen - was, wenn dies mein Befehl war?«
Maximilien Rivenet de Souvagne
»Existierte dieser Befehl die Kinder auch in den Heimen zu töten? Es kann nur eine Person jenen Befehl ausgesprochen haben, die alte Duchesse. Das unser Vater den Befehl erteilt hätte, wagen wir zu bezweifeln. Und zwei Jahre später wird er dazu nicht mehr in der Lage gewesen sein, Duc Alain Etienne de Souvagne starb mit seinem ältesten Sohn am 19.10.170. Also ist das eine Hypothese oder ein Fakt? Uns ist bei diesem Thema nicht nach Scherzen oder Rätselraten zu Mute. Wäre dies Euer Befehl gewesen, hättet Ihr Folge leisten müssen um Eure Frage fairerweise zu beantworten«, gab Max zurück.
Timothée Mauchelin
»Der Befehl stammte von der geistigen Mutter unseres Ordens, Duchesse Francoise Esme de Souvagne. Unserer Mäzenin und unserer schützenden Hand. Und der Orden des Stählernen Lotos diente ihr treu bis zu ihrem Tod.«
Maximilien Rivenet de Souvagne
Der Duc schaute Vendelin lange und sehr ernst an. »Das glauben wir Euch Vendelin von Wigberg, so kannte man die alte Duchesse. Und nicht umsonst hat uns unser damaliger Leibdiener völlig von dieser Frau abgeschirmt. Sie war eine Schande für die Krone und eine Schande für das Adelsgeschlecht der Cheverettes. Die Gründung des Ordens mit den offenkundigen Zielen, wäre sogar lobenswert. Wäre dies alles nicht auf einer Lüge aufgebaut. Lügen und Morden um weitere Lügen und weiteres Morden zu vertuschen. Habt Ihr die Kinder je gesehen? Habt Ihr die Väter und Mütter je gesehen? Wieviele Kinder habt Ihr geholt die Agentenkinder waren im Auftage der Duchesse? Wir widerrufen diesen Befehl mit sofortiger Wirkung. Nicht das noch jemand auf die Idee kommt, ihn dennoch umzusetzen, obwohl wir die Agentenkinder rehabilitierten«, sagte Max tonlos.