Der Tag, an dem es Asche regnete
Burg Drakenstein, Ehveros
Die Laternen zu beiden Seiten der Straßen spendeten Licht in dieser schneefreien Winternacht. Das Kopfsteinpflaster glänzte feucht. Die alte Burg Drakenstein ragte erhaben über die Stadt wie eine steinerne Krone. In den Mauern ihres innersten Ringes drängten sich trotz der späten Stunde die Massen. Kollateralschädenwaren unvermeidlich, doch das war nicht die Sorge Vendelins, der sich durch die eintreffenden Bewohner in die entgegengesetzte Richtung zum Tor hin drängte. Ihn kümmerten diese Menschen nicht. Ihn trieb anderes an. Er hatte einen Auftrag und er würde diesem lächerlichen Hohenfelde, der ihm seit Wochen wie eine lästige Fliege folgte, zeigen, wozu er fähig war.
An seiner Seite, mit zarten Händchen eingehakt in seinen Arm, trippelte eine sehr junge Magd, mehr Kind als Frau. Dies war sein Tag und sein Werk und er gedachte, ihn zu feiern. Davard würde seine Vorführung bekommen.
Das Mädchen, mit Vendelin er sich seit einiger Zeit schon regelmäßig traf, hatte ihm gute Dienste dabei erwiesen, einen stillen und ungestörten Platz in den Eingeweiden der Burg zu finden. Mit roten Wangen und großen, glänzenden Augen hatte sie seine Rose entgegengenommen und die anderen kleinen Aufmerksamkeiten. Seine zärtlichen, wohlschmeckenden Küsse und seine wohlformulierten Lügen hatten sie davon überzeugt, dass er, der Edelmann, ausgerechnet an sie, die einfache Magd, sein Herz verloren hatte. Sein Leben lang hatte er auf die Richtige gewartet und nun traf er sie hier. Das musste Ainuwars Wirken sein. Seine Finger strichen über ihre von der Arbeit schwieligen Hände und versprachen ihr, dass er sie in Samt und Seide kleiden würde und sie eigenes Personal bekäme, sobald sie auf seinem Anwesen wohnte. Es war so einfach, wenn sie so jung waren und so ungebildet ... schön war sie obendrein. Für seine Zwecke war sie erste Wahl, sehr jung, sehr hübsch und sehr dumm.
Den Schlüssel für den Keller hatte sie rasch organisiert und war nicht verwundert, dass er ausgerechnet seit diesem Moment einen besseren Platz für ihre Treffen gefunden hatte. Dass er den gestohlenen Schlüssel nicht zurück gab, schien sie nicht einmal zu bemerken. Auch, dass die Zusammensetzung des Personals sich kontinuierlich änderte, realisierte sie nicht als auffällig. Auch sonst niemand, denn natürlich gab es für jeden verschwundenen Dienstboten eine Begründung und für jeden neu eingestellten Mann den entsprechenden Brief. Alles hatte seine Richtigkeit, wenn man über die Möglichkeiten von Vendelin verfügte und dermaßen langfristig sein Werk gewebt hatte. Nach und nach füllte sich der Keller der Burg mit Fässern neuer Vorräte für den Winter. Die Zusammensetzung hatte natürlich Vendelin gewählt. Er bestimmte, was in diesen Kellern lagerte und wer sie bewachte und verwaltete.
Nun war der Tag gekommen, da die Vorbereitungen in ihrem Finale münden würden. Vendelin gönnte sich den Luxus, ihm aus der Ferne, aber in Sichtweite, beizuwohnen und das in süßer Gesellschaft.
Vendelin saß auf einer Parkbank im Innenhof des zweiten Ringes. Die Menschen sah er nun nicht mehr, aber den oberen Teil der Burg und das genügte. Er hatte von hier aus einen guten Ausblick auf den Balkon, von dem Felipe von Ehveros seine einfallslosen Ansprachen zu halten pflegte. Auf Vendelins Schoß saß das Dienstmädchen, das etwa ein Viertel so alt war wie er. Er war von Stand, das genügte, um sie, wann immer er wollte, von ihrem Arbeitsplatz wegzubeordern. Wer würde einem Edelmann von Vendelins Ausstrahlung misstrauen oder gar an seinem Wort zweifeln? Kein Küchenchef, keine Magd und keiner der Dienstboten. Schwieriger war es, die Garde zu überzeugen, doch das war alles eine Frage der Gewohnheit. Irgendwann gehörte er zum festen Inventar der Burg dazu. Vendelin wusste, wie er sich wem gegenüber geben musste und mit jungen Mädchen kannte er sich besonders gut aus. Sein Gesicht war stets eine kleine Spur freundlicher, als angemessen wäre und seine Grußworte an das Personal zeugten ebenso wie seine unauffällige, aber beim genauen Hinsehen sehr gewählte Kleidung von einem anständigen Herrn. Die letzten Zweifel fegte er mit einigen Münzen Trinkgeld hinfort. Vendelin ging in der Burg täglich ein und aus, ohne dass jemand Verdacht schöpfte.
"Ist es nicht ein schöner Ausblick?", fragte er über die schmale Schulter des Mädchens hinweg. Sie saß mit nacktem Schoß auf seiner Hose, doch das war nicht zu sehen in Anbetracht der Stoffmenge ihres Gewandes, das zu allen Seiten über Vendelins Hüfte fiel. Seine gepflegten Finger streichelten den feuchten Flaum ihrer Scham unter dem Rock. Heute war das erste Mal, dass er sie intim berührte und sie zeigte keinerlei Abwehr. Er hatte es ausreichend langsam angehen lassen und nicht nur ihr Herz, sondern auch ihr Körper sehnte sich nach ihm. Das spürte er deutlich.
"Wisst Ihr, welchen Tag man heute im schönen Ledwick feiert, mein schönes Fräulein?", fragte Vendelin mit sanfter Stimme, während er sie streichelte.
Sie kiekste und schüttelte den Kopf. "Nein, Herr, das weiß ich nicht."
"Es ist der letzte Tag des ledwicker Neujahrsfestes. Dort endet es nicht am 31. des zwölften Mondes, sondern am 6. des ersten Mondes. Die Tage des Wartens, die Giorni di attesa, finden heute ihr Ende. Zu Mitternacht beginnt in Ledwick nicht nur kalendarisch, sondern auch spirituell das neue Jahr. Und da der Duca und der Großherzog in einer merkwürdigen Beziehung stehen, seit Ehveros offen versucht hat, Ledwick zu annektieren, fühlt auch Felipe sich genötigt, heute eine Ansprache zu halten, um dies und das zu bekräftigen."
"Was Ihr alles wisst, Herr! Ihr seid so schlau", hauchte sie.
"Das bin ich", bestätigte er schmunzelnd.
Sein Finger fand den Weg in ihr Inneres. Er ertastete ihr intaktes Jungfernhäutchen, so wie er es liebte. Die Ahnung eines verbotenen Akts. Kein Mann, der etwas auf sich hielt, heiratete eine schon eröffnete Frau. Entjungferungen waren Gründe für Duelle, für horrende Schadensersatzforderungen und für Zwangsheiraten, wenn es nicht gerade das eigene Eigentum als Lehnsherr war, das man entjungferte. Das war hier nicht der Fall. Wenn Vendelin ihr die Jungfräulichkeit nahm, sank ihr Wert auf dem Heiratsmarkt gegen null. Diesen Genuss konnte man pro Mädchen nur ein einziges Mal genießen. Danach war der Zauber vorbei. Er ließ sich also Zeit, zog den nun feuchten Finger wieder heraus und ließ ihn sanft zwischen ihren Schamlippen vor und zurückgleiten. Er wollte, dass sie freiwillig mitspielte, dass sie ihre gute Erziehung vor lauter Lust vergaß. Das hatte er sich verdient. Er küsste ihren Nacken, während Felipe am Balkon erschien und das Volk ihm zujubelte.
"Heute ist auch der Todestag des Großherzogs", fuhr Vendelin fort.
"Herr, ich verstehe nicht...?"
"Aber bald, meine Teure. Bald."
Auf die Entfernung war es nicht möglich, Felipes Worte zu verstehen. Vendelin öffnete seine Hose, dann nahm er beide Hände nach oben. Er umarmte das Mädchen, das atemlos und ganz aufrecht vor Anspannung auf ihm saß. Plötzlich wurde seine Umarmung zu einem Schraubstock. Ein Ruck ging durch ihren Körper, reißende Haut, dann von oben auf ihn herabsinkende Wärme und Feuchtigkeit, die ihn so zart wie ein küssender Mund umschloss. Als das Mädchen sich gefangen hatte, lockerte er die Umarmung wieder.
"Der Duca war kein angenehmer Zeitgenosse in den letzten Tagen, doch den meisten blieb die Bedeutung verschlossen. Während der Raunächte stehen die Tore zum Nexus offen und er ist ihm in seiner tierischen Natur nach der Ankunft aus den Fluten hilflos ausgesetzt. Heute aber streift der weiße Seelöwe seinen Pelz ab. Erst Tier, doch nach dem Ablegen seiner Hülle wandelt er als Mensch. Mensch und Tier sind gar nicht so unterschiedlich."
"Stimmt ... das alles?", keuchte sie. Ihre Oberschenkel zitterten.
Vendelin lächelte, während er den heißen Druck in seinem Schoß genoss. "Aber ja. Man muss diese Geschichten nur zu deuten wissen. Und die Tage des Wartens enden stets mit einem lauten Knall, an dem die offenen Pforten ..." Er musste kurz durchatmen vor Erregung. "... an dem die offenen Pforten sich schließen und eine neue Ära beginnt!"
Und dann geschah das Unfassbare.
Die Erde bebte, die Menschen stürzten, die ganze Burg machte einen Sprung. Es folgte ein zweiter, noch lauterer Knall. Burg Drakenstein geriet völlig aus den Fugen, kein Stein blieb auf dem anderen. Die Schießpulverfässer in den Kellern erwiesen ihre Dienste. Sein Hut flog vom Kopf. Die Druckwelle schleuderte das Mädchen rücklings gegen Vendelin, ihr Kleid riss in der Mitte entzwei und flatterte wie die Flügel eines Schmetterlings. Sie schrie, es war nicht zu hören in dem brüllenden Tosen der Explosion, doch Vendelin spürte es an ihrem vibrierenden Leib. Es schüttelte sie auf seinem Schoß und er gab sich hemmungslos seiner Lust hin, während es um hin herum Steine, Holzbalken und Menschen regnete.
Die Eruption sowohl von Vendelin als auch von der Burg war vorbei. Beides war ausgesprochen heftig ausgefallen. Vendelin war schwindelig und er benötigte einen Moment, um sich zusammeln. In einem Ohr hörte er ein Piepen und auf dem anderen gar nichts mehr. Er stand auf und ließ das zitternde und verletzte Mädchen, das ihm als lebender Schutzschild ebenso wie als Objekt seiner Lust gedient hatte, von sich herunter zu Boden sinken. Das Schlimmste hatte die Mauer des ersten Ringes abgefangen. Er brachte seine Kleidung in Ordnung und ging in Richtung Tor. Von dort aus betrachtete die Verwüstung so zufrieden wie ein siegreicher General das Schlachtfeld. Der Boden war voller Steine und Körper, die meisten tot, einige regten sich, hier und da schrie es unkontrolliert.
Von Felipe von Ehveros, unter dessen Balkon der Großteil der Fässer gelagert gewesen war, war nichts weiter übrig als verbrannte Fleischfetzen, die nun als schwarzer Ascheregen niedersanken.
Vendelin hob seinen Hut auf und setzte ihn wieder auf seinen Kopf. Er drehte sich in die Richtung, in der er Davard von Hohenfelde vermutete, tippte sich zum Gruß an die Hutkrempe und ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Seine elegante Gestalt verschwand im grauen Rauch und niedersinkenden Ascheflocken.