Die Laterne des heiligen Lichts
Die Nacht zog auf und erneut färbte sich der Himmel schwarz, so als hätte jemand ein Fass Tinte darüber gegossen. Verrill stand an der Reling und betrachtete den Sternenhimmel, Chiara an ihrer Seite.
"Schlüsselmeister des Lichten", grüßte sie ein fremder Mann respektvoll, mit einem Lächeln, dass anderen vermutlich das Blut in den Adern gefrieren ließ. Chiara stellte sich schützend vor ihre Herrin, obwohl sie zitterte wie Espenlaub.
Verrill wusste instinktiv dass es sich bei diesem Mann um einen Bewahrer eines anderen Ältesten handelte. Er war ebenso ein Schlüsselmeister wie sie. Sein Auftreten war offenkundig friedlich, aber seine gesamte Erscheinung machte deutlich, welche Seite er sonst vertrat. Bleich wie eine Leiche und völlig in Schwarz gehüllt, ließ die Optik keine Spekulationen zu.
"Schlüsselmeister Dunwolfs", grüßte Verrill zurück.
Sie wartete ab, sie war es nicht gewöhnt, den ersten Schritt zu machen. Möglicherweise war dies ein Friedensangebot, da sie gemeinsam auf der Tordalk reisten. Immerhin hatte sich der Mann offen zu erkennen gegeben.
Hector umrundete Chiara und bezog direkt neben Verrill Position an der Reling und schaute hinaus aufs Meer. Die Ducachessa war über das Verhalten etwas irritiert. Er stand so nah neben ihr, dass sie ihn hätte berühren können, hätte sie sich minimal zur Seite gelehnt. Seine ganze Körperhaltung war entspannt, dennoch blieb sie wachsam. Seine Statur verriet ihr, wozu dieser blasse Körper sonst in der Lage war. Sie selbst war zum Schwert- und Fechtkampf ausgebildet und sie war kein Stümper. Chiara schaute abwechselnd zwischen Verrill und dem Fremden hin und her, unschlüssig wie sie reagieren sollte.
"Nicht mehr. Und genau deshalb möchte ich mit Euch reden, ich benötige Eure Hilfe", kam die verspätete Antwort von Hector, während er sich eine Rauchstange anzündete und einen grauen Rauchkringel in die Nacht hinaus blies.
"Nicht mehr? Ihr wisst, was Ihr dort sagt und welche Konsequenzen das haben wird? Euer einstiger Meister ist nicht für seine Gnade bekannt. Mein Bruder bot ihm einst die Stirn und kam so gerade mit dem Leben davon. Ihr erbittet meinen Beistand? Nun ob ich Euch beistehen kann und werde, wird sich zeigen. Sprecht offen und ich antworte ebenso", bot Verrill an.
"Niemandem ist das so bewusst wie mir. Ich habe vor diese Bedrohung auszumerzen und dabei benötige ich Eure Hilfe. Ich sammele Personen und Artefakte, die es mir ermöglichen werden Dunwolf zu fällen. Und Ihr könnt mir dabei helfen. Ich erbitte Eintritt in den Tempel des Lichts Schlüsselmeister. Im Gegenzug werde ich Euch jede Tür in die Finsternis des Ältesten öffnen, die Ihr wünscht. Jede Türe der einstigen Trinität. Unsere Ziele sind die gleichen, nur entstanden sie aus anderen Gründen. Ich sprach bereits mit Eurem Bruder, aber er ist etwas verbohrt, was den Tempel des Lichts angeht und Euch", erklärte Hector freundlich.
"Ihr bittet nicht für Euch, Ihr hättet Schutz erbitten können. Steht Euch der Sinn nach Rache?", hakte Verrill nach.
"Nein, mir steht der Sinn danach meine Kinder und die meines Mannes zu retten. Und all jene Beißer, die dem falschen Weg folgen. Ich räche nicht, ich rette. Die Rache kann danach noch kommen, aber die Prioritäten liegen anders bei uns. Bei Euch wie bei mir, nicht wahr? Wir sind Wächter, keiner Rächer. Ich habe nicht vor, meine persönlichen Rachegelüste auf den Rücken der mir anvertrauten auszuleben. Mein Vater und Tekuro Chud lehrten mich vor sehr kurzer Zeit etwas, sie brachten mir bei hinter den Schleier der Lügen zu schauen. Eigentlich eine unsere Fähigkeiten, aber die Selbstlüge ist größte aller möglichen Täuschungen. Jetzt wo ich klar sehe, habe ich ein neues klares Ziel. Ich muss die meinen retten, Rest folgt sobald das geschafft ist. Ihr an unserer Seite und wir werden siegen. Bedenkt das, bevor Ihr Eure Entscheidung fällt.
Eine Welt ohne diesen Ältesten ist für Eure und unsere Nachfahren sicherer. Ich weiß ich welchen Umständen Ihr seid, auch wenn ihr diese Stoffberge tragt, ich rieche es. Ihr müsst selbst keine Waffe führen, ich werde die Waffen führen, Ihr müsst sie mir nur zur Verfügung stellen. Ich benötige die Laterne des heiligen Lichts und das gleichnamige Schwert. Und ich wünsche Eure Schriften lesen zu dürfen. Möglicherweise ergeben sich daraus noch andere Möglichkeiten.
Der Dolch des Lichten, der Euch und Euren Kollegen fehlt, war bei uns in Verwahrung. Zum Schutze, da diese Waffe genau wie die Laterne und das Schwert die Trinität verletzen kann. Ich händigte den Dolch Eurem Bruder aus. Ich gab eine Waffe fort, die meinen ehemaligen Meister verletzen kann. Ein Vorfahre erbat sie von Eurem Meister, er gab sie nicht zurück aus Vorsicht, nicht in betrügerischer Absicht. Denkt über mein Angebot nach", bat Hector.
"Mein Bruder hat die Waffe, ich habe sie selbst gesehen und er wollte sie mir ebenso wenig aushändigen. Ihr hättet sie mir geben sollen. Er wird nur Unsinn damit anstellen", stöhnte Verrill.
"Nein Schlüsselmeister, Ihr erhaltet die Waffe rechtzeitig zurück, dessen seid versichert. Aber zur Zeit kann sie nicht in besseren Händen sein. Dunwolf fürchtet Euren Bruder wie den Dolch. Bedenkt das, bevor Ihr etwas zurückverlangt und somit den Blick des Ältesten auf Euch lenkt. Wir sind es die das Wissen verwahren und studieren, die ihm wie Sekretäre die Schriften reichen die er benötigt. Solange Ihr unerkannt lebt, seid Ihr sicher. Aber meine Amtskollegen sie wissen von Euch, sie wissen worauf sie achten müssen um Euch zu enttarnen.
Genau wie Ihr wusstet, woran Ihr einen von uns erkennt, oder einen anderen Schlüsselmeister. Jeder hat seinen ureigenen Schlüssel. Euer Bruder begreift nicht, welche Stärke in Eurer Natur steckt. Nun unterschätzt zu werden, ist ebenso eine Gabe und ein Vorteil. Denkt gut darüber nach, oder haltet Rücksprache mit Eurem Meister. Es ist eine einmalige Chance, es wird vermutlich nach mir keinen weiteren Schlüsselmeister geben, der Dunwolf den Rücken kehrt.
Und ich bin keine rühmliche Ausnahme, ich war vermutlich der fanatischste Anhänger meines Gottes. Bis mich Archibald und Tekuro auf den Boden der Tatsachen zurückholten. Auf ihre ureigene Art", warf Hector ein.
"Und die Art wäre?", fragte Verrill freundlich.
"Sie töteten mich...", antwortete Hector tonlos und entblößte seine Vampirfangzähne.