Wie ruhig und freundlich Dave blieb, machte Urako ein wenig zu schaffen. Damit hatte er nicht gerechnet und schon gar nicht, nachdem er ihn in diesen Transportgriff hineingezwungen hatte. Einen Moment lang überlegte er, ob das eine Falle sein könnte, aber gleichzeitig wusste er, dass eben dass nicht der Fall sein würde. Er hatte schon tausende gerichtet und noch weitaus mehr bestraft, er wusste Körpersprache, Stimmlage und Mimik hervorragend zu intepretieren. Nur, wenn Eifersucht ins Spiel kam, ließ die Verlässlichkeit seiner Gabe arg zu wünschen übrig.
Er klopfte Dave einmal kurz auf die Schulter und gab ihn frei. Gemeinsam gingen sie in den Keller, so wie Pavo es befohlen hatte.
"Geh da bitte in die Zelle. Man hat nicht gesagt, dass ich absperren soll, also lasse ich die Tür auf und setze mich noch ein Weilchen dazu zum Quatschen, dann ist es nicht so öde."
Ohne zu warten, ob Dave wirklich in die offene Zelle ging, eilte Urako noch einmal davon, holte ein Tablett. Darauf waren Brot und Käse, ein Krug Wein und einen zweiter mit Wasser. Er schenkte jedem von ihnen ein Gemisch davon ein.
"Ist gut gegen Kater", erklärte er grinsend. "Kaffee gib`s nicht, der ist irgendwie nicht mehr im Schrank, vielleicht alle oder Lydia hat ihn wieder zum Wäschewaschen benutzt."
Dann setzte er sich mit seinem Becher und einem Stück Käsebrot auf einen Stuhl neben der Zelle.
"Also, du wolltest wissen, warum du anstrengend bist." Urako überlegte. Er wollte Dave keinesfalls noch ein zweites Mal beleidigen, aber Höflichkeitslügen waren auch nicht seine Art. "Du hast schwierige Launen." Aus Urakos Mund klang das sicher etwas komisch nach dem gestrigen Tag, aber Urako fand sich selber kein bisschen schwierig. Er fand sein eigenes Verhalten rundum logisch und gerechtfertigt.
"Du gehst einfach weg, wenn man mit dir über Probleme reden will. Das ist kacke. So werden sie nicht gelöst. Klar, das ist mal unangenehm, aber danach ist die Sache auch erledigt, wenn man sich auf eine Lösung einigt. Wie soll man das aber, wenn du einfach weggehst? Die Probleme bleiben dadurch bestehen, du verdrängst sie nur, sie werden dir ewig im Genick sitzen. Und im Laufe der Zeit werden es immer mehr. Für eine Beziehung kann das irgendwann zu viel werden, dann macht es knack und sie ist an dieser Unmenge ungelöster Probleme zerbrochen. Wenn du mit Varmi wirklich langfristig glücklich werden willst, solltest du daran arbeiten, finde ich. Ansonsten bist du eigentlich nicht schwierig. Nur manchmal etwas ungezogen für meinen Geschmack, aber das musst du mit Varmi ausmachen, das geht mich nichts an, hähä."
Urako aß etwas und spülte mit dem Weinwasser herunter. Er hatte nur wenig Wein reingegeben, weil er gerade keine Lust hatte, besoffen zu sein. Früh trank er eigentlich nichts, er hatte Dave nur was gegen den Kater bringen wollen.
"Warum ich Gasmi angegangen bin? Nun ..." Urako sah in eine andere Richtung. Das Thema war für ihn sehr empfindlich und er spürte, wie seine Pulsfrequenz sich sofort verdoppelte, kaum, dass er auch nur daran dachte. Aber er wollte dennoch mit Dave darüber reden. Dave hatte sich ihm anvertraut, jetzt würde Urako das gleiche tun. Er musste ja nicht jedes einzelne unangenehme Detail auswalzen, aber das Grobe durfte Dave ruhig erfahren. "Gasmi hat sich für meinen Geschmack viel zu sehr gefreut über den Neuling. Das schmeckt mir nicht. Er hat sich auf mich zu konzentrieren und andere mit kalter Neutralität zu betrachten. Er ist mein Mann."
Er trank nun doch einen Schluck puren Wein direkt aus der Kanne. Sein Unterarm zitterte kaum merklich. Dave würde wahrscheinlich nicht verstehen, warum ihn das so aufwühlte. Wobei ... Urakos Gesicht verzog sich zu seinem schiefen Lächeln.
"Ist so ähnlich wie deine Wut wegen Varmi. Du hast gedacht, ich nehme Varmi dir weg und bist mich darum angegangen. Ich hab Angst, dass Gasmi mir wegläuft, wenn ich die Zügel zu locker lasse - und bin ihn darum angegangen. Du willst deine Beziehung schützen und richtest deinen Zorn gegen die Bedrohung von außen - ich meinen auch gegen die Bedrohung von innen. Man muss für seine Beziehungen kämpfen, Dave. Wenn man sie einfach nur beiläufig nebenher laufen lässt, lockert sich das Band zwischen den Partnern immer mehr. Das werden langweilige und oberflächliche Beziehungen. Ich will eine, die in die Tiefe geht. Mein Herz steht in Flammen für Gasmi, Dave. Es lodert. Ich will, dass auch sein Herz für mich brennt. Ich will, dass es irgendwann einmal kein Ich und Du mehr zwischen Gasmi und mir gibt, sondern nur noch ein Wir. Dann kann nichts und niemand uns mehr trennen, egal, was geschieht."
Urako machte die Zellentür noch einmal auf, die sowieso nur angelehnt war und schenkte Dave noch einmal nach, ohne darauf zu achten, ob er überhaupt schon ausgetrunken hatte. Ihm ging es nur darum, den restlichen Wein loszuwerden, den er sonst selber ziemlich schnell austrinken würde.
"Varum Varmi das Frettchen gekrault hat, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass mir das nicht schmeckt. Erstens, weil Du sein Mann bist und es offenbar nicht mitgekriegt hast. Zweitens, weil ich vielleicht ein ganz kleines Bisschen eifersüchtig war, weil er mich noch nie so gekrault hat." Er grinste entschuldigend. "Keine Sorge, ich nehm dir deinen Varmi nicht weg. Aber nach dem Spaß, den wir drei gemeinsam hatten, darfst du es mir nicht verübeln, dass ich euch nun beide ein wenig mehr mag als zuvor." Er streckte sich und es knackte zwischen seinen Schulterblättern. "Er hat ihn in Frettchengestalt am Rücken gekrault. Danach hat Mo sich zurückverwandelt und war logischer Weise erstmal nackt. Das passt mir nicht. Geht gar nicht. Mo ist eine Schlampe, wenn du mich fragst. Und obendrein ein Wandler! Mit denen habe ich schon schlechte Erfahrungen gemacht, die sind alle ziemlich falsch. Nutzen ihre Tiergestalt, um sich bei einem einzuschmeicheln, weil man ja nur ein Tier krault und zack, hast du sie plötzlich im Bett! Dann verschwinden sie wieder, weil ihre tierische Natur sie angeblich zu fernen Ufern ruft und du stehst alleine da wie der letzte Depp."
Urako erhob sich, stellte Dave den Rest des Frühstücks hin, überreichte ihn den Zellenschlüssel und machte von außen die Tür zu.
"So, ich gehe jetzt erstmal. Falls du mal musst, steht da hinten ein Eimer. Ich komme dann in einer Stunde oder so noch mal nach dir sehen, aber ich hoffe mal, dass Pavo dich nicht so lange hier versauern lässt. Eigentlich wollte er dich nur festsetzen, damit du nicht wieder wegrennen kannst." Er grinste. "Tu mir den Gefallen und tu eingesperrt. Hör ihm zu und rede mit ihm. Er wird dich nicht bestrafen, zumindest nicht hart, das kann der gar nicht. Leider. Er will nur ein wenig labern."
Urako brachte Dave noch ein dickes, riesiges Kissen und schleppte einen Stapel voller Bücher herbei. Für derlei Gefälligkeiten hatte er sich früher die ein oder andere körperliche Gegenleistung von seinen Gefangenen herausgeschunden. Er wusste, wie wichtig solche vermeintlichen Kleinigkeiten einem Gefangenen waren, genau wie ein Päckchen Pfeifenkraut oder ein heißer Tee. Solche Gesten konnten wahre Wunder bewirken. Von Dave erwartete er jedoch nichts. Urako hatte schlichtweg wieder gute Laune und mochte den Naridier, außerdem hatte Pavo ihm nicht befohlen, ihn zu bestrafen, sondern nur, ihn festzusetzen. So brachte er Dave auch noch ein leeres Notizbuch, sein Tintenfass und die Schreibfeder, die er selber ihm zum Frühlingsfest geschenkt hatte, damit er sich beschäftigen konnte und eine Schale Nüsse zum Knabbern. Des Weiteren eine Waschschüssel mit Lappen und Handtuch und frische Wechselklamotten, denn Dave roch nicht, als sei er schon zum Baden gekommen nach seinem nächtlichen Gelage. Urako kam nach zehn Minuten noch einmal vorbei und brachte ihm auch noch sein Rasierzeug und einen kleinen Spiegel sowie einen Kamm. So.
Jetzt erst verschwand er endgültig, um sich ans Aufräumen zu machen. Varmi konnte ihm nun jedenfalls nicht vorwerfen, er hätte sich nicht gut um seinen Mann gekümmert.