Dunwin sah den beiden nach. Er konnte Brandurs Vorsicht nur zu gut verstehen, aber sein Bruder verstand nicht den immensen Vorteil, den ihn alleine Archibalds Anwesenheit verschaffen würde. Dunwin bedauerte aufrichtig, was er damals hatte Dave antun lassen. Er hatte begriffen, was er getan hatte, wobei er zugesehen oder weggeschaut hatte.
Dave schwieg und das genoss Archibald. Ohne es zu wissen, hatte Dave seinem Foltermeister damit in die Hände gespielt. Im Gegensatz zu Ansgar, der bei jeder noch so kleinen Kleinigkeit gleich aus der Haut fuhr und herumbrüllte.
Dunwin wusste, dass Ansgar weitaus weniger gefährlich war als Dave. Bellende Hunde bissen angeblich nicht. Und das traf auch oft auf Ansgar zu. Ein weiterer Vorteil war, dass er meist nicht heimlich agierte, sondern von seinen Launen mitgerissen wurde. Dave hatte keine Launen, jedenfalls keine sichtbaren. Und falls doch, hatte er sie gut vor ihnen verborgen.
Die Worte von Dunwin an seinen jüngsten Sohn waren aufrichtig.
Dennoch im Moment galt es, Ansgar und seine Planungen in die Knie zu zwingen. Und so wie er auf das Erscheinen seines Vaters reagiert hatte, würde er auch auf Archibald reagieren. Dunwin hoffte mit der Nervenwaffe Archibald Linhard zu schützen und Ansgar zum Kapitulieren zu bewegen. Brandur würde das hoffentlich verstehen, dass man ab und an gezwungen war seltsame Wege zu beschreiten um an sein Ziel zu kommen.
Brandur selbst hatte ja einen seltsamen Weg gewählt, er war vom Dach gestürzt. Der Weg war zwar nicht sonderlich lang, aber er hatte ihn schnell hinter sich gebracht.
Dunwin musste bei seinen düsteren Gedanken schmunzeln. Ab und an konnte er sich einige sarkastische Gedanken nicht verkneifen. Da es ihm nicht gelang, die Kaffeetasse umzustoßen und er ohne körperliche Hilfe nicht den Krückstock für Brandur besorgen konnte, machte sich Dunwin auf den Weg zu seinem alten Weggefährten.
Genau am anderen Ende der Stadt stand das kleine nach außen hin etwas heruntergekommene Haus. Alles sah noch wie damals aus, was Dunwin einen seltsamen Stich versetzte. Er klopfte unnötigerweise und seine Hand glitt durch die Tür. Einen Moment später folgte sein Rest.
Das scheinbar so armselige Haus war in Wahrheit eine getarnte Festung. Die oberen Räume waren so sporadisch und schlicht eingerichtet, dass jeder Dieb wohl hier noch einen Taler hinterlassen hätte, für die Umstände die er dem Besitzer gemacht hatte.
Dunwin durchschritt als geisterhafte Präsenz die Räume und schaute sich um. Hier oben lebte Archibald nicht, sondern er lebte in den Kellerräumen. Durch die Geheimtür, verborgen hinter dem Kamin schlüpfte der Geist hinab in die erste Kellerebene. Ein Körper wäre an der Sicherheitsvorrichtung samt der versteckten stählernen Tür wie auch den Giftfallen tödlich gescheitert.
Kaum im ersten Kellergeschoss angekommen war Dunwin schlagartig von altbekanntem Luxus umgeben. Seidene Tapete in blutroter Farbe schmückte die Wände. Kerzen erhellten die Räumlichkeiten und überall stand dieses seltsame mechanische Spielzeug das Archibald so liebte. Dazwischen Puppen die mit toten Augen in den Raum starrten oder uralte, abgegriffene Teddybären.
Ein Museum der Kuriositäten für all jene, die niemals die zweite Kellerebene samt ihren Zellen gesehen hatten.
Archi musste Zuhause sein, denn in dem Kamin prasselte ein gemütliches Feuer. Auf einem Beistelltisch standen rote Kerzen in einem besonderen Muster angeordnet und umrahmten mit Sand gezeichnete Symbole. Ein Totenschädel ruhte mittig auf dem Tisch von dem Dunwin wusste, dass es sich um einen echten Schädel handelte.
Auf der anderen Seite auf einem ganz ähnlichen Beistelltisch stand eine geöffnete Flasche Wein und ein halbvolles Glas. Dunwin erinnerte sich gerade wehmütig daran, wie dieser schwere Rotwein schmeckte, als sich eine spindeldürre, knochenartige, kahlköpfige Gestalt aus einer dunklen Zimmerecke schälte und ihn mit glänzenden Augen fixierte.
Ein seltsam geformtes Messer war in ihren verkrümmten Händen zu sehen. Einen winzigen Augenblick später, stieß das Wesen einen unartikulierten Schrei aus. Keine Sekunde später eilte aus dem Nebenraum eine Person herbei. Eigentlich fühlte Dunwin mehr die körperliche, lebende Präsenz nahen als dass er den Mann wirklich hörte.
Mit herrischer Geste betrat Archibald den Raum und starrte das kahlköpfige, humanoide Wesen an. Sofort schoss es wie ein Blitz an seine Seite und hockte sich wie ein treuer Hund an die Seite seines Meisters. Die Klauen von Archibalds Hände griffen nach seinem Nacken, aber das Wesen fing sie ab, streichelte sie beschwichtigend und zeigte auf Dunwin.
Unbeholfen stammelte es da.... da... das...
Ehe es wieder zu seinem Geheul ansetzte.
Archibald riss seine Hand los und verpasste dem hauchdünnen Wesen einen Schlag vor den Schädel, so dass es der Länge nach hinschlug. Die Narben an seinem Körper sprachen Bände darüber, wie oft es diese Tortur bereits erduldet hatte.
Arch stockte für eine Sekunde und drehte sich dann in Zeitlupe zu der Stelle um, auf die sein Sklave vorher noch gezeigt hatte.
Er blinzelte, warf einen verstohlenen Blick auf die geöffnete Weinflasche, dann auf den okkulten Tisch, bevor er Dunwin von oben bis unten musterte.
Er zögerte, wie ein Raubtier dass auf die Lichtung treten musste.
Dann jedoch fiel die Scheu von ihm ab und er ging einige Schritte auf Dunwin zu um ihn erneut zu mustern. Diesmal mit einem offenen, freundlichen und herzlichen Grinsen.
"Du... hier... ich fass es nicht! Wie bei den Ältesten hast Du das hinbekommen?", freute sich Archibald.
"Eine lange Geschichte Archi...
Eine sehr lange Geschichte...
Schön Dich zu sehen Bruder...
Ich benötige Deine Hilfe...
Folge mir...
Unterwegs werde ich Dir alles erzählen...", grinste Dunwin zurück.
"Wohin soll ich Dir folgen?", hakte Archibald nach.
"Zum Rathaus...", antwortete Dun.
"Zum Rathaus?!?", hakte Archi nach.
"Richtig...
Zum Rathaus...", bestätigte Dunwin.