Expedition zum Mittelpunkt Tasmerons
– Team Schwarze Krake -
Prolog
„Er soll eintreten.“ Herzog Leopold von Ghena hob den Kopf vom Okularmikrometer, mit dem er gerade einen vielversprechenden Rubin analysiert hatte und widmete seine Aufmerksamkeit dem schüchtern hereingeschobenen Kopf.
„Was ist Sein Anliegen, Vivali?“
„Eure Durchlauch, es geht um die Freiwilligen für die Expedition.“
„Trete Er endlich ein. Und schließe Er die Tür hinter sich!“
Während der Herzog es sich in dem dunkelrot gepolsteren Stuhl, der zum übrigen prunkvollen Inventar seiner privaten Werkstatt passte, bequem niederließ, musste der Bote stehen. Es handelte sich um einen naridischen Frostalb, der von oben bis unten mit schwarzen Edelsteinen behangen war, die es ihm ermöglichten, bei den Temperaturen seiner neuen Wahlheimat zu überleben. Der hauchdünne, graue Mantel mit der Kapuze umhüllte ihn wie Nebel und half ihm, die Sonne auf Abstand zu seiner empfindlichen Haut zu halten.
„Es … sieht weniger optimistisch aus, als ich euch gern mitteilen würde Herr“, begann er. Die hinter den Schatten der schweren roten Kapuze unsichtbare Gestalt blieb regungslos. Vivali schluckte. „Wie es aussieht, fühlen sich die meisten Abenteuerlustigen eher von den falschen Versprechungen des Kaisho-Abschaums angezogen. Wir haben so gut wie überhaupt keine Freiwilligen zusammentrommeln können.“
„Dann erhöhe Er doch einfach die angepriesene Belohnung! Als ob wir es uns nicht leisten könnten. Die Exporte über See laufen gut.“
„Ich kann es versuchen, Herr. Doch ich fürchte, dazu ist es zu spät.“
„Was meint Er damit?“ Die Stimme des Herzogs klang lauernd.
„Ich … die, die Kaisho-Expedition sta-startet bald! Ihre Vorbereitungen sind schon fast vollendet! Unsere Späher melden, da-dass sie bereits mehr als dreißig Männer und Frauen engagiert haben. Teilweise von hohem Rang und Ansehen. Oberst Nassik persönlich soll die Expedition leiten. Er hat eine große Anzahl Soldaten und Söldnern in seinem Gefolge, dazu Ärzte, Köche, diverse Handwerker, Wissenschaftler und -“
„Das reicht!“ Leopold hob die behandschuhte Hand. An jedem Finger glitzerte mindestens ein auffälliger Ring, an manchen auch mehrere. „Mit wievielen Freiwilligen können wir rechnen?“
Die Stimme des Frostalben senkte sich, so dass sie kaum noch zu verstehen war. „Vielleicht mit einer handvoll … wir … es zeichnet sich ab, dass wir nicht sehr viel Auswahl haben werden. Offenbar müssen wir nehmen, was wir kriegen können – oder die Expedition womöglich abbrechen.“
„Ist Er wankelmütig?“
„Nein, Herr.“
„Ist Er ein Feigling, der die Hose voll hat?“
„Nein, Herr.“
„Gehört er an den Galgen?“
„Nein, Herr! Keineswegs!“
Leopold nickte grimmig. „Dann beweise Er es. Beweise Er mir seine Tapferkeit und Treue. Er, Vivali, wird seine magischen Künste unserer Expedition zur Verfügung stellen.“ Die bläuliche Unterlippe des Frostalbs zitterte. Der Herzog fuhr ungerührt fort: „Er wird den Expeditionsleiter nach bestem Wissen und Gewissen unterstützen, ohne Rücksicht auf sich selbst.“ Leopold ging zu seinem Arbeitstisch und ergänzte die Liste, die dort lag, um einen Namen. „Bereite Er sich vor, so lange Ihm noch die Zeit bleibt. Der Anführer der Expedition wird fortan Sein direkter Vorgesetzter sein. Er hat sich dessen Willen bedingungslos zu beugen, auch wenn er Ihm befehlen sollte, sich das eigene dreckige Herz herauszureißen. Seine Schuld ist noch nicht beglichen, Vivali, erinnere Er sich stets daran. Es zu vergessen, würde bös für Ihn enden.“
Vivali verneigte sich. Seine zahllosen Steinkettchen klapperten, so sehr zitterte er. Verärgert schickte Leopold ihn hinaus. Er konnte Vivali nicht ausstehen. Er betrachtete die Liste, an der er gearbeitet hatte, bevor der neugelieferte Rubin ihn mit süßer Stimme zu sich gerufen hatte:
Team Schwarze Krake
Expeditionsleiter und Navigator:
Seiner Durchlaucht bekannt.
Kundschafter:
Terc von den Brandeln, Düsterling.
Koch:
Nox Nebelkrähe, naridischer Harpyr
Arzt:
Donwolf Tatterwatter, naridischer Almane
Geleitschutz:
Firxas, Tiefling
Mädchen für alles:
Vivali Schattentänzer, naridischer Frostalb
Freiwillige:
Der letzte leere Punkt stach ihm wie ein reibendes Sandkorn ins Auge. Der unglückliche Vivali verteilte derweil mit zitternden Fingern maschinell hergestellte Kopien an die verlotterten Deserteure der venthroischen Greifenreiter, die sie überall in Asamura verteilten.
Erhöhung der Belohnung!
Jeder, der an der Expedition zum Herzen Tasmerons teilnimmt und mit dem Anführer zusammen zurück zur Oberfläche kehrt, erhält eine eigene Burg auf naridischem Territorium und das Startkapital von zwölf Monatslöhnen! Wer allein zurückkehrt, erhält nichts.
Meldet euch am Morgen nach dem nächsten Neumond beim ersten Hahnenschrei zum Eignungstest am Galgenberg der Festung Vellingrat.
Im Namen seiner Durchlaucht, des Herzog Leopold von Ghena
Wer noch eintrudeln mochte oder nicht, würde sich zeigen. Doch Vivali machte sich wenig Hoffnung. Betrübt schlich er nach Hause in seine Wohnregentonne, um sich auf seinen bevorstehenden Tod vorzubereiten.